September 2015

[7.2] Gewalt und Zerstörung

English Version: [7.2] Violence and Destruction →
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Gewalt ist grausam, in jeder Form. Mentale und körperliche Gewalt versehren unsere Integrität, unser Dasein. Körper kollidieren, prallen aufeinander, zerbersten, explodieren; Körper werden angeschossen, verletzt, aufgeschlitzt, abgeschossen, vergewaltigt, verstümmelt; Körper werden hingerichtet, gehängt, geköpft, vergiftet, durch Stromstöße ausgelöscht. Der Körper tritt nicht mehr nach draußen, setzt sich aus, vermählt sich, erobert seine Welt, vielmehr erfährt er eine heftige Schubumkehr. Körperliche, mentale und emotionale Gewalten greifen die Integrität von Menschen an, verletzen sie, vernichten das geistige und materielle Körpersystem. Bilder von häuslicher Gewalt, von Mordanschlägen, von kriegerischen Angriffen, Bombenexplosionen, Hinrichtungen, Massenvernichtungen, von Volkshass und von struktureller, gesellschaftlicher Gewalt, von Staatsmacht durchziehen unser Leben – und unser Bildleben.

Gewalt scheint Bilder zu brauchen, Gewalt scheint unsere Bildfantasien zu nähren. Aber genauso gilt: Gewalt zieht Bilder an. Die Bilderwelt des Abendlandes ist voller Gewaltdarstellungen: wilder vagabundierender Gewalt ebenso wie kriegerischer Gewalt, ordnender, staatlicher Gewalt. Und: Bilder ziehen selbst Gewalt an. Bildern entspringt Kraft, Macht, Gewalt. Sie wollen nicht nur repräsentieren, sondern zeigen, präsent, monstrativ sein. „Jedes Bild ist eine Monstranz. Das Bild ist monströs“,1 schreibt Jean-Luc Nancy in seinem Aufsatz „Bild und Gewalt“ und fügt hinzu: „Das Bild ist die wundersame Zeichen-Kraft einer unwahrscheinlichen, aus einer nicht konstruierbaren Unruhe hervorgegangenen Präsenz. Diese Zeichen-Kraft gehört der Einheit an, ohne die es kein Ding, keine Präsenz, kein Subjekt gäbe. Gleichwohl ist die Einheit des Dings, der Präsenz und des Subjekts selbst gewaltsam.“ 

Zehn Künstler und Künstlerinnen beschäftigen sich mit dem Thema „Gewalt und Zerstörung“. Adam Broomberg und Oliver Chanarin verbinden eine uralte Schrift, die Bibel, mit Fotografien unterschiedlicher Gewalttaten aus unserer Zeit, aus der Zeit der Fotografie. In einer Art Re-enactement folgen sie Bertolt Brecht, der eine Bibel als Journal, als Tage-Buch benutzte, und setzen Fotografien aus dem „Archive of Modern Conflict“ (AMC) verschiedenen biblischen Textstellen von Gewalt gegenüber: Divine Violence.

Suzanne Otten zeigt große, schwere Köpfe von Soldaten und Soldatinnen, die für die US-Armee in Afghanistan gedient haben. Zur Seite geneigt, abgelegt, aus der aufrechten Mitte verschoben, als Zeichen von Fragilität, als Zeichen dafür, dass viele der Rückkehrer, wie lange immer sie dem täglichen Horror ausgesetzt waren, den Weg in die Normalität nicht mehr schaffen. Zu groß sind die Traumas, die sie im Krieg erleben. 

Edmund Clark hat in Guantánamo fotografiert, in diesem rechtsfreien Raum, den sich die amerikanische Regierung, scheinheilig, außerhalb ihres Territoriums geschaffen hat. Rechtsfrei, brutal, aber streng geregelt. So präzis und kühl wie die Stimme in Clarks Video die Gefängnisregeln von Guantánamo vorliest, so streng sind die Regeln für die Gefangenen, und so streng war die Zensur für die Bilder. Jedes Bild, das wir hier sehen, ist durch eine genaue Zensur gelaufen, so wie auch alle Briefe, die den Ort verlassen oder da eintreffen. „In the prison camp, it was much more prescriptive and restrictive. You were escorted everywhere and before you went you had to agree not to photograph certain things […] you weren’t allowed to photograph the sky and the sea in the same image.“ (Edmund Clark)

Boris Mikhailov steht mit seiner Kamera mitten auf dem Maidan in Kiew, dem Schauplatz der Demonstrationen gegen den Präsidenten Viktor Janukowitsch, bei denen rund 100 Menschen erschossen wurden. Seine Bilder erinnern auf eindrückliche Weise sowohl an Historiengemälde des 19. Jahrhunderts wie an Fotografien der Pariser Kommune, die von März bis Mai 1871 zwei Monate lang dauerte. Wie Flaggen des Widerstands hängen seine großen Papierfetzen von der Wand und visualisieren die Kraft der Bewegung auf dem Unabhängigkeitsplatz.

Thomas Hirschhorns Bilder sind „hard to take“, er schont uns Betrachter nicht, wenn er Bilder des schönen Scheins, von Mode und Models, mit Bildern extrem zerstörter Körper miteinander verschränkt, ja, miteinander vermählt. Als tauche aus dem Schatten des Models die Kehrseite der Gesellschaft auf, als öffne sich der Graben in die Unterwelt des Grauens. Thomas Hirschhorn schreibt in seiner unveröffentlichen Schrift (in der Ausstellung wird sie aufliegen) „Warum ist es wichtig – heute – Bilder zerstörter Menschenkörper zu zeigen und anzusehen“: „Wir wollen die Redundanz solche Bilder nicht akzeptieren, weil wir die Redundanz von Grausamkeit gegen den Menschen nicht akzeptieren wollen. Das ist der Grund, weshalb es wichtig ist, die Bilder zerstörter Menschenkörper – heute – in ihrer Redundanz zu zeigen und sie anzusehen.“

Keren Cytters 3-Kanal-Video Cross. Flowers. Rolex (2009) lässt die Story dreier unheimlicher Situationen wieder aufleben, die gemäß Internet 2009 stattgefunden haben: Eine Frau lebt weiter, obwohl sie in den Kopf geschossen wurde. Ein Mann springt zweimal vom fünften Stock aus dem Fenster und überlebt. Ein anderer Mann wird mit elf Messerstichen in fünf Sekunden ermordet. In diesen sichtbaren Re-enactments ist Cytter „nicht daran interessiert, die realen Geschehnisse wiederzugeben. Vielmehr sind diese Filme als Allegorien menschlicher Emotionszustände zu begreifen, als weitere Facette von Keren Cytters fortwährender psychologischer Studie über unsere alltäglichen Dramen und soziale Desintegration.“2

Julika Rudelius thematisiert im Einkanalvideo Dressage das Aufflammen der Kraft einer Gruppe von zehnjährigen Mädchen gegen den vorgeschriebenen Weg, ein Aufflammen, das komplett verebbt, versandet, nachdem sich die Mädchen den Weg freigeschlagen haben. Im Zweikanalvideo Liaison spielt sie auf verführerische Weise mit Paaren: Frau und Mann, Waffen und Sex, Macht und Schönheit.

Jules Spinatsch und Jürgen Teller bilden hier, ungewollt, ein merkwürdiges Paar. Spinatsch eröffnet diese Ausstellung mit einem panoptischen Nachtbild in der Jugendvollzugsanstalt in Mannheim. Jürgen Teller schließt den Reigen mit einem schnöd-banalen Blick auf die langsam verrottende Hitlerkanzel in Nürnberg. Orte gesellschaftlicher Macht.

1 Jean-Luc Nancy, „Bild und Gewalt“, in: ders., Am Grund der Bilder, Berlin: Diaphanes 2006, S. 31–50

2 Zit. nach http://www.schauort.com/cytter-flowers-cross-rolex.htm