September 2015

[7.4] Geld und Gier

English Version: [7.4] Money and Greed →
7-4.jpg

„Geld ist jedes allgemein anerkannte Tausch- und Zahlungsmittel. […] Der Begriff stammt von dem althochdeutschen gelt (= Vergeltung, Vergütung, Einkommen, Wert) ab. […] Im praktischen Gebrauch ist Geld ein Zahlungsmittel, das sich von einfachen Tauschmitteln dadurch unterscheidet, dass es nicht unmittelbar den Bedarf eines Tauschpartners befriedigt, sondern auf Grund allgemeiner Akzeptanz zu weiterem Tausch eingesetzt werden kann.“ (Wikipedia-Eintrag) Geld ist ein Mittel, das erlaubt, den Tausch von Waren von ihrer Masse und ihrem Volumen zu befreien. Geld ist ein Treibmittel, das der Wirtschaft und dem menschlichen Zusammenleben hilft, Ideen zu entwickeln, Produktionen zu lancieren, das Leben auf der Erde weiterzutreiben. Doch inzwischen hat sich das Finanzsystem vom Wirtschaftssystem gelöst und verselbstständigt. So wie es ein Dark-Internet gibt, so existiert heute eine Art von Casino-Finanz-Roulette, in dem mit der Weltwirtschaft gezockt und letztlich der hundertfache, tausendfache Wert der eigenen Mutter, des eigenen Hauses, des eigenen Landes auf Termin verwettet und gegengewettet wird. Im Deutschen alliterieren Geld und Gier, passend zum Umstand, dass Gier zum dominanten Prinzip des spätkapitalistischen Wirtschaftens und Verhaltens geworden ist. Der bloße Verdienst zählt nichts mehr, auf dem Spiel steht heute der „horrende Gewinn“. Das digitale und algorithmisch unterfütterte Power-Gamen (Hochfrequenz-Handeln) an der Börse entzweit die Welt zunehmend in: sehr reich und arm, die Mitte schlittert allmählich von der Straße. Seit zwei, drei Jahrzehnten verändern sich gewachsene Wertvorstellungen mit großer Geschwindigkeit. Wir können hier ohne zu erröten metaphorisch von der „Pornografisierung der Gesellschaft“ sprechen, einer sich immer weiter zuspitzenden, radikalen Konzentration auf die Abstraktion Geld, mit der Bereitschaft, alles dafür zu tun, auch das eigene Land, die gesamte Welt zu betrügen (mittels Manipulation des Libor, des Referenzzinssatzes), und den Nächsten (nicht nur im sonntäglichen „Tatort“) zur Seite zu schaffen, wenn es sein muss mit der Waffe der Armut.

„Das strukturelle Problem scheint mir darin zu liegen“, schreibt Christina von Braun, „dass alle, die mit Geld zu tun haben, mit einem hohen Grad an Abstraktion fertig werden müssen. Vor allem heute, wo das Geld nur noch Zeichen ist. Je mehr Geld sie verdienen, desto mehr fürchten sie – zu Recht – den Moment, in dem sich das Geld als eine Anhäufung an Nullen offenbart. Mit jedem neuen Gewinn steigt diese Angst, und sie – nicht die Gier – wird zum eigentlichen Motor eines Strebens nach immer mehr und schnellerem Geld. Angst ist ein Impetus, der Menschen zum Spielball von Gefühlen macht – und mit dieser Ohnmacht steigt wiederum das Bedürfnis nach Geld.“1 Rainer Werner Fassbinder betitelte einen seiner berühmten Filme mit Angst essen Seele auf (1974). Angst fließt wie eine imaginäre Säure, nach innen, auf sich selbst bezogen, genauso wie nach außen – das Verbreiten von Angst, von Furcht draußen in der Welt. 

Im Video JJA dokumentiert Gaëlle Boucand die Selbstdarstellung eines französischen Steuerflüchtlings, der vor fast zwanzig Jahren seinen Wohnsitz in die Schweiz verlegt hat. JJA, der Finanzflüchtling, sinniert auf und in seinem Anwesen in einem manchmal fast surreal anmutenden Porträt über sich, seine Werte, seinen Sinn fürs Geld, seine Kämpfe mit Anwälten und Schweizern, seine Liebe für Alarmanlagen, seine Angst vor dem Betrogen-, vor dem Abgezocktwerden. 

Paolo Woods und Gabriele Galimberti suchten über die letzten zwei Jahre The Heavens auf, die Geldhäfen der Welt, in denen Geld vor dem Fiskus im Heimatland versteckt wird. Auf British Virgin Islands sind rund 800 000 Firmen gemeldet, bei gerade mal 28 000 Einwohnern. BVI ist nach Hongkong der zweitgrößte Investor in China. Es gibt den realen schweren Containerschiff-Transport auf den Weltmeeren, und parallel dazu die extrem leichte elektronische Verlegung der Gelder vor Steuern an Orte, an denen kaum oder minimalst versteuert wird. Woods/Galimberti zeigen ihre Werke in den Sammlungsräumen der Kunsthalle Mannheim, in einem Reigen von gemalten Porträts des letzten Jahrhunderts. Glenda Léon zeigt mit Inversion II (2011) ein Einkanal- und Single-Frame-Video, in dem Geld – eine Hundertdollarnote – fast wie eine Droge behandelt und gezeigt wird. Der von der Dollarnote mit einem Rasiermesser abgeschabte Farbstoff wird von der Akteurin im Video mit Hilfe eines gerollten (Lorbeer-)Blattes gesnifft.

G.R.A.M lassen mit ironischem Unterton die alt-neuen CEOs nach der Finanzkrise wieder auferstehen. Mit ihren Nöten, aber auch mit ihren bereits wieder forschen Vorstellungen vom Lauf der Welt. Polly Braden zeigt in attraktiven Fotografien die Dynamik, Hektik, aber auch die Langeweile oder Leere der Menschen im inneren Zentrum Londons, der inneren Quadratmeile der Finanzwelt. Jules Spinatsch lässt an einer Wand den Elektronikhändler Saturn auferstehen: Alles steht bereit für den Verkauf, schön aufgereiht, endlose Auswahl, aber kein Mensch scheint den Weg da hinzufinden? Der ultimative Konsum? Die Vision eines Systemzusammenbruchs?

Zentrum der Arbeiten zum Thema „Geld und Gier“ ist die dreiteilige Videoarbeit von Stefanos Tsivopoulos. Drei Lebensläufe, drei Existenzformen – eine reiche, demente Athenerin mitten in ihrem Reich, ihren Kunstschätzen, ein schwarzer Migrant als Altmetallsammler, ein Kunstscout aus Deutschland, der in Athen neue Impulse, den ultimativen Kunstkick sucht. Die drei Videos zum Thema History Zero verbinden sich auf wundersame Weise, als würde gerade eine neue Handelsform vorgeführt. Stefanos Tsivopoulos diskutiert in einer dazu gehörenden Textarbeit alternative Tausch- und Wechselformen.

1 Christina von Braun, Der Preis des Geldes. Eine Kulturgeschichte, Berlin: Aufbau Verlag 2012, S. 7