September 2015

[7.7] Kommunikation und Kontrolle

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Aus dem einstigen Gespräch wird Kommunikation, ein im gleichen Maße versteckter, distanzierter wie hoch intensivierter Fluss an Selbstäußerungen und kopierten Äußerungen. Aus den einstigen Gemeinschaften werden soziale Netzwerke, bindungslose Gebinde, die Nähe suggerieren und Ferne schaffen. Ein zuckender, funkelnder Starkstrom in Zeiten inhaltlicher Leere. Auf Anzeichen hin von Auflösungen von Werten, von Strukturen, von Gesellschaften, von korrektem Funktionieren wird mit schneller, flächendeckender, permanenter Kontrolle reagiert. Überwachung im Zeichen des Kommerzes und im Zeichen der politischen Kontrolle. Alles wird registriert, vernetzend kommuniziert und archiviert.

Obwohl sie eine Weile lang schon „auf der Welt war“, wurde die „Internet-Technologie“ erst ab Anfang der 1990er-Jahre, dann aber sehr rasch kommerzialisiert und öffentlich. Nicht zuletzt, weil die Politik (vor allem die US-amerikanische) diese Veröffentlichung nicht mehr durch Verbote hat. Die Technologie war nun nicht mehr eine kriegswichtige Größe. Wichtige Schritte auf dem Weg der Digitalisierung des Bildes (als ein Element des „Digitalen“) sind: Anfang 1990er-Jahre: Adobe-Photoshop; Anfang 1990er-Jahre: Erste Digitalkameras auf dem Markt; 1998: Start von Google; 2001: Start von Wikipedia; 2002: Erste Mobiltelefone mit Kamerafunktion; 2007: erstes iPhone mit einer noch sehr einfachen 2-Megapixel-Kamera. Fotografieren und uploaden/verteilen beginnen aber dadurch für viele praktisch zusammenzufallen; 2002: Friendster; 2003: MySpace; 2004: Facebook (Prototype); 2004: Flickr; 2005: YouTube; 2006: Twitter (als Social-Networking-Plattform); 2010: Instagram.

Ein Satz der Neunzigerjahre in den Betrachtungen des Theoretikers Florian Rötzer ist entscheidend: „Die Täuschung ist das innerste Prinzip der technischen Bilder, deren Realismus stets ein Selbstbetrug. […] Keine Unterwerfung mehr unter das Objekt, das gegebene Licht, die vorhandenen Farben.“1 – Keine Unterwerfung mehr unter das Objekt, das gegebene Licht, die vorhandenen Farben; besser kann man die Umkehrung des Prinzips moderner beziehungsweise modernistischer Fotografie zur postmodernen digitalen Fotografie nicht beschreiben. Die Welt draußen bestimmt das Bild der Welt heute weit weniger als die Fantasie, das Interesse des Fotografen und allenfalls das seiner Auftraggeber. „Welcome“, würde uns Jean Baudrillard, der Theoretiker der Simulation, des Simulakrum, hier zurufen. Willkommen in einer Bilderwelt, die sich vom Referenten, von der Wirklichkeit löst und ein eigenes, selbstreferenzielles Reich aufbaut.

In stückweiser Abstraktion von der realen Welt, bis zu einem Feld von Zeichen, die nur noch auf andere Zeichen referieren. „Bilder sind zu versprengten Migranten geworden, die in neuen Netzwerken und Schwärmen, Gesetzmäßigkeiten zusammenfinden müssen. Alte Einordnungs- und ‚Beruhigungs‘-Muster versagen. Klarheiten sind trügerisch. Die herrschenden Leitmetaphern sind Vervielfältigung, Dislokation und Zirkulation statt Einmaligkeit, Kohärenz und Ortsgebundenheit.“2 (David Joselit) Diese Beschreibung liest sich, mit hergebrachtem Erkenntnis- und Ordnungssinn, wie die Analyse eines kritischen, eben prekären Zustandes. Hier der Bilder wohlgemerkt, vorerst, vielleicht aber auch unserer Befindlichkeit, unserem Sein.

Trevor Paglen beschäftigt sich seit zehn Jahren mit der Kontrolle der Kommunikation, mit den zahllosen Satelliten, die die Erde umkreisen und dabei die gesamte Welt alle zwei Wochen in hoher, detailgenauer Auflösung durchfotografieren; mit den Kabelsträngen, die die Kommunikation auf der Welt verknüpfen, an deren Schaltstellen, Weichen die NSA und andere Geheimdienste sich jeweils einklinken und den gesamten Kommunikationsverkehr anzapfen, überwachen und algorithmisch analysieren und sortieren. 

Marco Poloni interessiert sich in seinen mehrteiligen, lange Bänder bildenden Fotoserien – sie ähneln Stills aus (nicht realisierten) Filmen – für das Verhältnis von Wahrnehmung und Repräsentation. In Permutit erforscht er Erscheinungen von Macht anhand von Topkaderfiguren, von fünfzigjährigen, graumelierten Herren in dunklen Anzügen, die er alleine, zu zweit oder in Begleitung einer eleganten Dame an bedeutsamen Orten fotografiert: in Dallas, wo John F. Kennedy ermordet wurde, in Washington D.C., im Pentagon, vor dem Enron-Gebäude in Houston,Texas. Die Erfahrung, die er vermittelt, ist jene der gesellschaftlichen Unsichtbarkeit. Diese Herren und Damen, die wir zu verfolgen glauben, sind Stellvertreter, die eigentlichen Träger der Macht bleiben gänzlich unsichtbar. 

Melanie Gilligan thematisiert in ihren fünf Videos Popular Unrest eine gleichsam noch härtere Überwachung, eine innere, eine mentale Kontrolle und Anleitung jedes Einzelnen durch eine neue Machtgröße, „The Spirit“. Die Kontrolle verschärft sich bis zu Ermordungen einzelner Mitglieder. „The film explores a world in which the self is reduced to physical biology, directly subject to the needs of capital. Hotels offer bed-warming servants with every room, people are fined for not preventing foreseeable illness, weight watching foods eat the digester from the inside and the unemployed repay their debt to society in physical energy. If on the one hand this suggests the complete domination of life by exchange value do the groupings offer a way out?“3

ExpVisLab, eine Gruppe von Forschern, Ingenieuren und Künstlern, darunter George Legrady und Danny Bazos, realisieren interaktive Installationen mit robotergesteuerten Kameras. „SwarmVision is a project with both artistic and engineering outputs, exploring novel uses of autonomous robotic cameras, computer vision techniques, and computational photography. It invites the public to react on how automation and intelligent spaces are transforming our relationship with the built environment. The project’s automated system translates human photographic vision into rules that govern machine vision.” Wir erleben in diesem Raum eine Welt von computergesteuerten Kameras, die gleichsam die „Macht“ übernommen haben.

Jules Spinatsch Zeit-Bildkomposition von „Time Warp“, einem jährlich stattfinden Techno-Groß-Event in Mannheim, thematisiert die Selbstvergessenheit, das Sich-Abschotten von der Wirklichkeit, den Rückzug des Einzelnen auf sein Feld mit wenig Bezug zum gesellschaftlichen Ganzen. Hauptsache Fun, dann sind wir auch bereit, Souveränität abzutreten.

1 Florian Rötzer, „Betrifft: Fotografie“, in: Hubertus von Amelunxen (Hg.), Fotografie nach der Fotografie, Dresden/Basel: Verlag der Kunst 1995, S. 13–25, hier S. 21

2 David Joselit, After Art, Princeton University Press, 2012. S. 37

3 http://popularunrest.org