2013

Alberto García-Alix

Alberto García-Alix ist hineingewachsen in die Befreiung Spaniens von der Diktatur nach Francos Tod. Er wird erwachsen in einem aufblühenden Land, das vor allem in seiner Hauptstadt von einer enormen Energie erfasst wurde. Er wird nicht Jurist, wie es sein Vater will, sondern Fotograf. Alberto García-Alix scheint sich instinktiv für das Leben zu entscheiden, was immer es bringen, was immer es kosten wird. Er ruft das Gegenüber, sucht das Le­ben, taucht ein in einem Menschsein, das sich weigert, die Emotionen der Ordnung, die Kraft des Körpers dem Verstand, die Erotik des Daseins der Sicherheit des bürgerlichen Lebens zu opfern. In seiner Haltung ist er wie Edith Piaf. Das «Je ne regrette rien» treibt ihn immer weiter in die Leiden­schaften der Menschen, in seine Leidenschaften hinein. In seiner Suche, seiner Sucht vielleicht auch nach dem Leben, agiert er wie Diane Arbus.  Wie sie fotografiert er leichte oder stärkere Abweichungen von dem, was man ohne nähere Erklärung als «normal», als bürgerlich bezeichnet. Er belichtet anderes Sein, anderes Verhalten, nähert sich den in der Gesellschaft einge­las­­senen Rändern. Wie die amerikanischen Fotografin begibt er sich auf die intensive Suche nach Direktheit, Einfachheit, Körperlichkeit, lässt er sich hineinfallen ins Leben und lebt seine Fotografie wie einen performativen Akt. 

Es gibt nur eine kleine Gruppe von Fotografen und Fotografinnen auf der Welt, die das Leben und die Fotografie so intensiv leben wie Alberto García-Alix. Ed van der Elsken war einer von ihnen, Daido Moriyama, Nan Goldin, Anders Petersen oder allenfalls auch Antoine D’Agata sind weitere Beispiele einer Fotografie, die letztlich einer Sucht entspringt, einer permanenten, verlangenden, süchtigen Suche nach dem wirklichen Leben, nach ihrer Freude, ihrer Lust, ihrem Schmerz. Ohne Netz, mit der Bereitschaft, zu steigen und zu fallen, was für eine Richtung die Energien gerade wieder an­zeigen. Die Bilder sind weder konzeptuell noch objektiv beobachtend ange­legt, sondern entspringen einem Taumeln mitten drin, sind immer aus der Schlag- oder Kussdistanz aufgenommen. Meist steht Alberto García-Alix direkt vor seinen Subjekten, Aug in Aug. Das fotografierende und das foto­grafierte Subjekt stehen sich wie Freunde, wie Liebende, aber auch wie Kämpfende hautnah gegenüber. Manchmal auch begleitet seine Kamera den Fluss der Geschehnisse, zieht er sie mit, wenn er durchs Leben streift.

Dieses Fotografieren der Freunde, des eigenen Lebens, dieses Sich-Spiegeln an den Freunden, das Spiegeln der Freunde an den Fotos, das Spiegeln des Le­bens an einer sich entwickelnden Bildperformance wurde beispielhaft für ein rock- und punkartiges Fotografieren, für distanzloses, jedoch nicht scho­nungs­loses Dabei- und Drinnensein, das sich in den späteren siebziger und achtziger Jahren kundtat. Der Begriff der teilnehmenden Fotografie, der seither gebraucht wird, wird oft mit Nan Goldin in Verbindung gebracht. Vielleicht darf ihre Ballade der sexuellen Abhängigkeit (1986 publiziert) als Startschuss für das Dokumentieren der eigenen Welt, das Fotografieren aus der Innenperspektive gelten. Es wird nicht mehr ein Anderes, Exotisches fo­to­­­grafiert, das anschliessend nach «Hause» getragen und dem Heimpu­blikum vorgeführt wird, vielmehr wird das eigene Leben zur Fotografie, verschwimmen Ich und Du, Subjekt und Objekt, Leben und Fotografie. Alberto García-Alix und die vorhin erwähnten Fotografen und Fotografinnen stehen ihr in keiner Weise nach. Sie alle arbeiten gemeinsam an einer visuel­len Conditio Humana, die sich der zunehmenden Sterilisierung des Animali­schen in uns verweigert.

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