Juni 2013  /  Du 837

Am Ende der bunten fetten Bildbehauptungen

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<p>Cédric Eisenring und Thomas Julier, architektonische Details (Berlin), 2009</p>

Cédric Eisenring und Thomas Julier, architektonische Details (Berlin), 2009

Anfang der Achtzigerjahre kehrte das Bild zurück. Die ikonoklastische Zeit der Sechziger- und Siebzigerjahre war vorbei. Nicht mehr Spurensuche, Land-Art, nicht mehr karge konzeptuelle Kunst war angesagt, sondern grosse Bilder, die mit den kommerziellen Billboards in den Strassen der Grossstädte mithalten konnten. Grossfetzen, von Grossmalern mit Überzeugung «hingeschletzt». Da wollte auch die Fotografie nicht hintanstehen. Blow up hiess Mitte der Achtzigerjahre eine Ausstellung, die durch ein paar Museen in Europa tourte und das Vergrössern, das Aufblasen von Negativen auf Grossformate thematisierte. Aus der Schweiz war Balthasar Burkhard mit seinen Bildern von Körperteilen darin vertreten. Wenn der Begriff Picture-Generation einen treffenden Sinn macht, dann im unbedingten Willen, ein Bild, ein grosses, mächtiges, eindrucksvolles Bild zu fertigen. Fotografien, einst üblicherweise auf 24 × 30 cm oder 30 × 40 cm eher klein abgezogen (die Prints an sich hatten lange wenig Bedeutung, dienten oft lediglich als Vorlage für den Druck), wurden schrittweise grösser, wurden auf 80 × 100 cm, 120 × 150 cm, 200 × 250 cm und noch weiter vergrössert. Sie eroberten das Museum nicht nur als Genre, sondern auch als sich fast architektonisch behauptende Setzung. Meist auf Aluminium oder Dibond aufgezogen, damit das grosse Fotopapier nicht flatterte, sondern wie ein Brett – gerahmt oder ungerahmt – allem, was da komme, standhielt. Damit begann der Siegeszug der Fotografie, damit setzte ein unvergleichlicher Boom der Fotografie in Galerien, Museen, am Kunstmarkt ein, der rund zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre anhielt. 

Die Bilder wurden aber nicht nur grösser, sondern auch immer farbiger und leuchtender. Sie wurden richtiggehend «fett». Während der letzten beiden Dekaden wurden unendlich viele grosse Farbfotografien produziert, aufgezogen, gerahmt und ins Museum gestellt, massive, laute, manchmal schreiende Behauptungen. Behauptungen, dass wir durch die Fotografie, durch diese Fotografien die Welt verstehen, mehr noch, sie weiterhin im Griff haben. Fotografie suggeriert in ihren bunten Farben, dass sie weiss, wie die Welt läuft, dass sie die Probleme benennt und deshalb auch schon halb gelöst hat. Doch glauben wir das immer noch? Glauben wir den Bildern, diesen bunten Glaubensbekenntnissen, weiterhin? Die Euphorie der Achtzigerjahre ist einer grossen Skepsis, einem dauernden, fast quälenden Zweifel gewichen. Seit vier, fünf Jahren läuft eine bildnerische Gegenbewegung. Sie ist nicht einheitlich, nimmt verschiedene Formen an. Sie taucht ins Archiv ab und befragt Bilder und Bildträger, sie wird abstrakt und reflektiert ihre Entstehung, sie wird bescheiden als Werkzeug, als Erkundungs-, als Erforschungsinstrument eingesetzt. Walead Beshty zum Beispiel transportiert Ektachrome mit sich, wenn er durch die Welt reist, und entwickelt dann die Spuren, die all die Sicherheitskontrollen auf den Filmen hinterlassen. «Kondensstreifen» am Himmel der Flugsicherheit. Adrian Sauer stellt in 16777216 Farben die gesamte Palette des digitalen Malkastens dar. «Die 16777216 Tonwerte, die der RGB-Farbraum nach dem additiven Modell der Farbsynthese zu differenzieren vermag, stehen dabei jedoch nicht in ihrer Abfolge des Farbspektrums nebeneinander, sondern sind nach dem Zufallsprinzip angeordnet worden. So bildet sich kein übergangsloser Verlauf, sondern ein flirrender Teppich aus kleinen farbigen Quadraten...» (Florian Ebner). Thomas Julier, Cédric Eisenring und eine Reihe von weiteren fotografisch tätigen Künstlern in Zürich verhalten sich wie intelligente «Oberflächler». Sie benutzen die fotografische Oberfläche, um die Welt, vor allem die Zeichenwelt, wie mit Fliessblättern abzutupfen, um Erkenntnisse oder auch nur Spass aus dem Spiel, den Regeln, den Verflechtungen der verschiedenen Strukturen zu ziehen. Raphael Hefti lässt die Materialien selbst explodieren, sich verändern, sich wandeln. Ausgestellt werden die Resultate der verschiedenen Experimente, der Forschungsreihen und die Denkbilder, die damit verbunden sind. 

Es ist kein neues ikonoklastisches Zeitalter angebrochen, Bilder werden nicht verweigert wie noch in den Sechzigerjahren (als Absage an die Behauptung der Moderne), aber sie treten mit einer grundsätzlich anderen Haltung auf als vorher. Sie sind weit mehr Resultate von Forschungsreisen, von Befragungen, von Niederschlägen auf das Film- oder Sensormaterial. Sie sind nicht hinterwäldlerisch, wollen nicht Tiefe vortäuschen, Existenzen anklingen lassen, das Dasein in seiner Grösse und Schwere veranschaulichen, sie wollen bloss intelligente Oberflächen sein. Sie wollen nicht so sehr re-präsentieren als präsentieren. Ein Film, ein Sensor, ein Fotooder Inkjetpapier sind flache Objekte, die in die real-reale und virtuell-reale mehrdimensionale Welt hineingehalten und wieder herausgezogen werden. Etwas hat sich da niedergeschlagen, hat sich (algorithmisch) konstruiert, vielleicht etwas Geplantes, vielleicht etwas Unbekanntes oder Überraschendes, vielleicht auch nur ein Spiel von Farben. Neue Fragen werden an die neuen Systeme und Materialien gestellt, mit heiterem, nonchalantem Grundton, doch oft mit der Schärfe vertieften Wissens formuliert. Eine Phänomenologie des digitalen Zeitalters, die in unterschiedlichsten Formen, in kleinen Heften, Büchlein, in Dateien, kleinen Filmen, aber auch als Print an der Wand auftauchen kann. Alles aus eigenen oder fremden Bildspeichern. Satte, bunte, behauptende Grossbilder hingegen finden sich kaum mehr.