Oktober 1999  /  Christoph Rütimann: Polaroids (Museum im Bellpark Kriens)

Auf Zeit installiert

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Wie ernst doch vielfach das Bild im 20. Jahrhundert genommen wurde. Ein Wunder, dass es daran nicht erstickt ist. Dieses Bild, das nicht nur als es selbst so ernst genommen, nicht nur als Metapher verstanden wurde, sondern als eine Art Realitäts-Stellvertreter dienen musste. Wie wichtig da doch die Bild-Unterlaufer waren, diese bildliebenden Ikonoklasten seit Picabia, über Tinguely hin zu Thomkins und Raetz, die das Bild aufs Spiel setzten, dem Bild, dem Spiel und dem Verstand zu liebe. Manchmal mit feiner Ironie, manchmal mit hämischem Gelächter vorgetragen, eine Distanznahme der besonderen Art. 

Dazu ist auch Christoph Rütimann zu zählen. Fischli/Weiss‘ Einführung der erzählerischen Bildkon- und dekonstruktion findet seit 1984 bei Christoph Rütimann eine Parallele. Der Luzerner Künstler, bekannt für sein Schaffen in vielen verschiedenen Medien, bekannt auch für seine gedanklich und gestalterisch präzisen Arbeiten, die im wesentlichen um das Thema offener, floatender Energien streifen – ein Energiefluidum, das sich zu Feldern formieren, zu Flüssen verdichten kann, Energien, die sich niederschlagen, Ausfällungen produzieren, als Gewicht auf der Waage, als abstrakte oder figurative Linie auf der Wand, als Kurve im Raum, als seismographisches Notat auf Papier –, dieser Künstler lebt seine poetische Seite vielleicht am stärksten in seinen Polaroid-Arbeiten aus, die er in manchen Winterferien tatsächlich im Schnee inszeniert hat. 

Die Serie von 42 Polaroids (1995), 42 verschiedenen Szenerien, Geschichten im Schnee, ist erzählerischer, bühnenbildnerischer denn je. Man gewinnt den Eindruck, der Schnee bilde eine hervorragende, halbdurchscheinende, halbpräsente Bühne – ein natürlicher Monitor mit ähnlich wirkender unendlicher, vergänglicher Untiefe – für die verschiedensten Bildgeschichten, Bildrätsel, Bildspiele: Kleine szenische Stücke, teils mitintegriert das eigene und das Bildnis seiner Freundin, die aus lauter Fragmenten von ausgeschnittenen Fotos, von Hölzchen, Stäbchen, Klebband ein schönes, rästelhaftes Bild-Gewebe inszenieren. Zum Beispiel eine Art wunderbarer modellhafter Gartenanlage, mit Gebäuden aus gelben, roten oder grünen Bausteinen vor quadratischen Teichen in tiefem Blau; zum Beispiel ein Rahmen-Garten vor ungerahmter Schiefertafel, Frauenkörper ohne Oberleib, das Spiel mit Videofarben in Stroh und Wein, mit Falschschatten und baumelnden Weibern. Christoph Rütimann und seine ausgeschnittenen PappkameradInnen stricken hier mit verkehrten Grössenverhältnissen, fragmentierten Figuren und Wörtern, realen Gegenständen und ausgeschnittenen Fotofiguren fast surreal anmutende Geschichten: Sie entfachen einen poetisch-bildnerischen Zauber mit ihrem Garn an Hinweisen auf Kunstgeschichte, auf Sprachbilder, Sprachspiele, auf Werbe-Comics und Calligulas Zauberkabinett.  

Es sind Polaroids, in denen das Bild als fester, sanktionierter Wert in Frage, auf die Probe gestellt und in spielerischer, erzählerischer Form aufgelöst wird – und in denen das Bild als Probe, als fragiles Geviert, als humorische, ironische Geburt auf Zeit neu installiert wird, vor vergänglichem schneeweissem, schneereinem Grund, Untergrund, Ur-Grund.