Juli 2019  /  republik.ch

Bilderklau oder Appropriation?
Dreiste Copyright-Verletzung bei einem Porträt von David Lynch

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Vor drei Wochen muss der Fotograf Nadav Kander sprichwörtlich erstarrt sein. Auf dem Titelblatt des englischen Magazins «THE BIG ISSUE» (#1365) erschien sein Porträt von David Lynch. Aber er hatte weder das Foto geliefert, noch war er dafür angefragt worden. Letztmals stand es 2012 auf dem Cover des «Sternportfolio 69». Was also war geschehen?

Offenbar hat ein Fotograf sein Bild in einer Ausstellung abfotografiert, inklusive Rahmen und einem Stück Wand und diese Reproduktion bei der Stock Agency Alamy als sein Bild hochgeladen. Die Bildredaktion von «THE BIG ISSUE» betrachtete das Bild sofort als das geeignete ikonische Cover-Porträt für ihr seltenes, exklusives Interview mit dem berühmten Filmregisseur und Fotografen aus Los Angeles. Sie bestellten es bei Alamy, beschnitten es so, dass der Rahmen wegfiel und das Bild hochformatig auf das Magazin-Cover passte - und publizierten es. 

Eine klare Copyright-Verletzung: Die Aufregung auf Instagram war gross. Am lautesten natürlich die üblichen Empörungswellen: «name – shame – blame him». Nenn den Namen, beschäm ihn, klag ihn an. «Sue-sue-sue !!!!!» – Verklag ihn, verklage alle drei Parteien, die Zeitschrift, die Bildplattform und den Fotografen! Viele forderten Nadav Kander auf, sofort den Namen dieses schlimmen Fotografen preiszugeben, ihn öffentlich blosszustellen. Ebenfalls hocherregt wurde diskutiert, wie die Bildredaktion von «THE BIG ISSUE» dieses ikonische Bild nicht kennen konnte, wie schlecht heute Bildredaktoren und Art Direktoren auch nur schon über die jüngste Fotogeschichte informiert seien. Wie konnten sie nicht merken, dass diese Bild vom berühmten Porträt- und Landschaftsfotografen Nadav Kander stammt, der übrigens diesen Herbst bei Steidl ein grosses Buch herausbringt?  

Vergessen ging in der Hetze erstaunlicherweise, dass die Bildredaktion das Bild ja zuschneiden, es also gleichsam digital aus dem Bilderrahmen schälen musste. Diese aktive Handlung lässt zumindest die Vermutung zu, dass die Redaktion genau wusste, was sie tat, wenn auch nicht, wer der eigentliche Urheber der Fotografie war. Ein Kommentator lieferte dafür knapp und präzise das Vorgehen einer möglichen Anklage-Linie: Kander verklagt zuerst die Zeitschrift. Diese wiederum Alamy, und die Agentur verklagt schliesslich den Fotografen. Denn alle tragen ein bestimmtes Mass an Schuld. Der Fotograf könnte zwar insistieren, dass es «sein» Foto sei, doch es wirkt allzu stark wie die blosse Reproduktion von Nadav Kanders Lynch-Porträt. In dieser Abfolge, oder in umgekehrter Richtung, wird definitiv ein grosser Fall daraus, ein Missbrauchsfall im Sinne des Urheberrechts. Den smartesten Ratschlag bekam Nadav Kander jedoch von Erik Madigan Heck, einem bekannten Modefotografen: «You should re-photograph the magazine cover and crop it, and then forge Richard Prince’s signature on it, and turn around and sell it to Christie’s for a profit as Banksy stunt.” Und er fügte bei: Kehr die unangenehme Situation um und mache daraus etwas Vorteilhaftes für Dich.

Mit diesem ironischen, ja sarkastischen Statement erfährt die Geschichte eine spannende Wendung. Plötzlich ist es nicht mehr nur eine Medienstory, sondern streut auch tief in die Kunstpraxis der Gegen- und Vorgegenwart hinein. Hier nämlich spricht man seit den späten siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts von Appropriation Art, von Aneignungskunst, wenn ein Künstler, eine Künstlerin sich nicht nur Farbe und Pinsel oder Gips und Gussverfahren aneignet, um ein Werk zu schaffen, sondern wenn gedruckte Bilder in Zeitungen, Zeitschriften, Büchern, Postern und heute auf dem Internet gepostete Bilder als Teil unserer neuen Realität begriffen und entsprechend für die eigene Kunst eingesetzt werden. 

«Ausleihen, Klauen, Aneignen, Erben, Assimilieren. Beeinflusst-, Inspiriert-, Abhängig-, Gejagt-, Besessen-Sein, Zitieren, Umschreiben, Überarbeiten, Umgestalten, (…) Revision, Re-Evaluation, Variation, Version, Interpretation, Imitation, Annäherung, (…) Echo, Allusion, Intertextualität und Karaoke», nennt der Künstler und Essayist Michalis Pichler im Intensivdurchlauf die verschiedenen Verfahren, mit denen das Werk anderer Menschen, anderer Künstler für eigene Zwecke angeeignet wird. Robert Rauschenberg hat es wohl als einer der Ersten praktiziert, seit den späten siebziger Jahren wurde es dann eine neue Praxis: mit Figuren wie Robert Heinecken, Richard Prince, Sherrie Levine, Elaine Sturtevant in den USA und in Europa mit Hans-Peter Feldmann, Chris Marclays Collagen von Schallplattenhüllen und, zeitnäher, etwa mit Thomas Ruffs Zeitungsausschnitten.

Das Erstellen der Fotografie wird hier nebensächlich, die Aura des Künstlerischen ist unwichtig, vielmehr geht es darum, durch den Wiedergebrauch der Fotografien die Kontextabhängigkeit von Bildern zu untersuchen und den Begriff des Originalen, des Autors zu unterlaufen. Entsprechend gelten diese Aneignungen als Produktionsweisen, als künstlerisch-transformative Interventionen – und eben nicht als Plagiat. 

Zumindest im Kunstkontext, im Kunstdiskurs. Weniger hingegen im Kontext des Urheberrechts. Gegen Richard Princes Adaptionen und Umwandlungen von vorgefundenen Fotografien zu seinen Werken (ohne Nennung des ursprünglichen Fotografen) laufen immer wieder Gerichtsklagen, seit zwei Jahren zum Beispiel die Klage des Fotografen Donald Graham gegen die umfassende Aneignung seiner Bilder durch Richard Prince. Prince und seine Anwälte halten dagegen, dass er mit diesen Bildern die virtuelle Welt der Social Medias erforsche und in diesem Sinne die Fotografie in ihrer Bedeutung transformiere.

Die zweite zentrale Appropriations-Künstlerin, Sherry Levine, die in ihrer Arbeit «After Walker Evans» zum Beispiel Fotografien von Walker Evans «reproduziert» hat, beschreibt ihr Vorgehen immer wieder als Infragestellung von Autonomie und Authentizität des Kunstwerks und entsprechend hält sie fest: «Es war immer meine Absicht, bei Kunstwerken den Aspekt der überzogenen Bedeutungszuschreibung zu betonen.»

Anhand des Falls von Nadav Kander und seinen Verzweigungen öffnet sich ein weites, komplexes Feld, inhaltlich und rechtlich ebenso spannend wie verwirrlich. Radikal vereinfachend stelle ich mir hier die Frage: Bilderklau oder Appropriation, Urheberrecht oder «Kunstrecht»?

Lange Zeit war es gut möglich und im gesellschaftlich-kulturellen Kontext korrekt, von der heiligen, der hehren, freien Kunst zu sprechen und dafür Sonderrechte einzufordern. Inhaltlich mag das für viele auch heute noch stimmen. Wie steht es aber in einer Zeit der radikalen Monetarisierung von Kunst auf dem Kunstmarkt? In einer Zeit, in der Kunst im hohen Preissegment primär als Investment, als materialisierter Scheck und als Life Style verstanden wird? Richard Prince‘ «New Portraits» kosteten zu Beginn der Klage 90‘000 Dollar. Reduziert sich da nicht in beiden Feldern - in der üblichen Urheberrechtswelt und nun auch in der Kunst – die Frage auf: Geld oder kein Geld? Könnte Donald Graham als Teil der Herstellungskette eines Kunstprodukts also nicht simpel von Prince abgegolten werden, bei Nennung seines Namens? Und zwar nicht so erbärmlich wie die Näherinnen in Bangladesh für die grossen Modelabels? In der Kunst beharren wir ja inhaltlich stets auf der Bedeutsamkeit und Kontextabhängigkeit auch der allerkleinsten Geste.

Ich weiss, das ist nur ein Pfad im Dickicht. Also Deckel auf die Büchse. Das Lynch-Plagiat hat jedenfalls ebenso mit Dreistigkeit wie mit Hilflosigkeit zu tun, das Donald-Graham-«Plagiat» hingegen … ja, mit Kunstdiskurs, aber auch etwas mit Kunst-Standesdünkel. Gut ist jedenfalls, dass Nadav Kander den Namen des Fotografen nicht den sozialen Medien zum Frass vorgeworfen hat. Das Lynch-Plagiat ist inzwischen – still und heimlich – von der Alamy-Plattform entfernt worden.

 

Bildlink, low res: https://petapixel.com/2019/07/10/magazine-says-its-stolen-cover-photo-was-a-stock-photo-of-the-photo/