Januar 2014  /  trans magazin 24

Bound together: Fotografie und Architektur
Ein Gespräch mit Hans Danuser und Urs Stahel

Hans Danuser begrüsst uns in seinem Atelier im Zürcher Kreis 6. An den hohen, rohgelassenen Wänden des Hauptraumes hängen drei grossformatige Bilder des Fotografen, auf dem Boden und den Regalen zeugen Zeichnungen, Pläne und Modelle von der Kunst, die hier Form annimmt. Urs Stahel, Begründer und ehemaliger Direktor des Fotomuseums Winterthur, ist als Gesprächspartner geladen. Wir setzen uns alle an den grossen, schweren Holztisch.

trans magazin (tm): Die allgegenwärtigen Abbildungen von Themen wie Tod oder Naturkatastrophen weisen einen gewissen Konsens auf – eine Art Norm entsteht dadurch, wie bestimmte Geschehnisse abgebildet werden. Uns interessiert Ihre Meinung zu den ‹visuellen› Normen der Schweiz, dem kulturbedingtem Umgang mit Bildern. Was ist Ihre Intention - für Sie Hans Danuser als Fotografen, oder für Sie Urs Stahel als Kurator - diese Bildinhalte zu zeigen?


Hans Danuser (hd): Tabuzonen verschieben sich, formulieren sich neu. Sie sind nicht Jahrhunderte in Stein gemeisselt. Über die Tabuzonen zeigen sich auch die Befindlichkeit oder die Prioritäten, die sich eine Gesellschaft setzt und wo die Machtverhältnisse liegen. Als ich den IN VIVO – Zyklus1 begonnen habe, damals in den 80er-Jahren, gab es so ganz klare Tabu-Bereiche in unserer Gesellschaft. Drei davon waren der Goldmarkt, Tierversuche und Atomenergie. Darüber wurde damals wohl viel diskutiert, nur hatte man keine Bilder. Es herrschte ein Tabu der Bilder und nicht der Diskussion. Meine Intention war, diesen Orten ein Bild zu geben. Ich denke, das war damals auch der Erfolg: IN VIVO gab den Menschen erste Bilder damaliger Tabuzonen.


Urs Stahel (us): So ganz oberflächlich würde man sofort sagen, dass sich Tabuzonen auflösen. Wenn wir den ganzen Enthüllungsjournalismus der 70er-, 80er-, 90er-Jahre nehmen und heute das Offenlegen aller möglicher Daten, dann hat man das Gefühl, es werden sämtliche Tabuzonen neu beleuchtet. Aber das stimmt so nicht ganz. Ich glaube, Tabus werden verlagert und zwar in beide Richtungen: Heute wird teilweise ein Tabu über etwas verhängt, was vor ein paar Jahrzehnten noch kein Tabuthema war und umgekehrt.

Grundsätzlich haben die Medien aufgerüstet und die Tabuzonen laufend verschoben, im Zwang, immer opulenter, immer aggressiver zu sein. Um Leute an das Medium Magazin oder Zeitung zu binden, wurde immer mehr gezeigt. Früher wurde darüber geredet, aber es gab eine Art Übereinkunft, dass man aus ethisch-moralischen Gründen bestimmte schreckliche Dinge nicht als Bild zeigt.

Aber Ihre Frage ging in eine Richtung, und hier muss ich ein wenig korrigieren: Wenn es so etwas einmal gegeben hat wie eine nationenabhängige Norm, dann glaub ich, dass ich Schwierigkeiten hätte, diese heute festzumachen. Ich habe vor zwanzig, dreissig Jahren schon gesagt, dass wir uns in einer kompletten räumlichen Auflösung befinden, in der regionale oder sogar nationale Unterschiede globaleren Prinzipien weichen.


hd: Da muss ich ein wenig gegensteuern. Ich nehme starke lokale Befindlichkeiten wahr, wenn man über Tabus spricht. In der Romandie zum Beispiel haben sie ganz andere Themen resp. Sendepausen, auch wenn es einen Konsens gibt im Grossen, im Globalen. Ich finde es faszinierend, dass wir einerseits ein globales Bilderrauschen haben, es andererseits aber die ganz lokalen Bilder oder Blinde Flecken und somit auch Tabus gibt.

Bereits beim Bildzyklus IN VIVO entstanden in den Jahren 1980 - 1989 habe ich bewusst meine Fotografien von ihrem geographischen Kontext gelöst. Ich habe nicht über den Tierversuch bei der Ciba-Geigy in Basel im Labor von Professor Künzle gesprochen oder von den Labors in New Jersey oder in Harvard. Ich habe an allen Orten Aufnahmen zu den Tierversuchen gemacht, aber ich habe sie in eine Arbeit eingebettet. Auch in der Legende steht einzig, in welchen Thema-Bereichen ich aufgenommen habe, aber nicht wo, nicht an welchen Orten.


us (schmunzelnd): Kann man sagen: Hans Danuser - der erste globale Fotograf? So habe ich das bisher noch nie gesehen...


hd: Das find ich jetzt toll, Urs, das gibt den Titel für ein nächstes gemeinsames Projekt. Nun, in dem Bereich würde ich sogar zustimmen. Für mich war diese Form der Abgrenzung zur Reportagefotografie der eigentliche Tabubruch. Das war in der damaligen Zeit neu. Ich finde es interessant, wenn man sich bei Bildern auf die dargestellte Situation als solche konzentrieren kann, unabhängig von deren lokalen Verortung. Ich habe in der Zeit das erste Mal begonnen, ein Bild der Dinge an sich zu machen, obwohl ich das Studio verlassen habe und einen ganz spezifischen Ort aufsuchte.


us: Ich denke, du machst mit deiner Bildsprache einen Tabubruch in mehrerer Hinsicht. Erstens hast du den Ort, den du betreten hast, aufgebrochen und zweitens hast du beim Umgang mit Bildern etwas ausgelöst, indem du deine Fotografien zu Bildern gemacht hast. Sie haben zwar das klassische Format der Reportagefotografie bewahrt, aber für mich ist das Deskriptive, Beschreibende zurückgedrängt und die Bildsituation so transformiert, dass ich als Aussenstehender die Chance habe, auch emotional auf diese Bilder zu reagieren. Ein ‹normales› Pressebild nimmt man zur Kenntnis, aber das Bild ‹nimmt› einem nicht wirklich mit. ‹Mitnehmen› ist hier nicht einfach im Sinne des Bilderrauschens gemeint, sondern im Sinne einer Mischung aus Denken und Fühlen, in der man das Bild ein Stück weit mehr begreift. Ich würde deine Arbeit als doppelten Bruch bezeichnen: Du hast Tabuzonen geöffnet und gleichzeitig die essayistische Bildsprache vorangetrieben.

Bildsprachen entwickeln sich schubweise. Die Norm muss sich ständig wandeln, damit sie den Veränderungen der Welt entsprechend ist. Ich denke, dass wenn wir heute fundamentalistische Tendenzen haben in der Welt, dann deshalb, weil wir seit 200 Jahren in einer permanenten Revolution leben. Wir leben in einer Wirtschaftsrevolution, einer industriellen Revolution- auch wenn wir die Industrie nach aussen verlagert haben - und einer Geistesrevolution. Der Mensch muss sich ständig neu erfinden, was fordernd und ermüdend ist. Fundamentalistische Tendenzen weisen darauf hin, dass man Schwierigkeiten hat, mit diesen Veränderungen überhaupt mitzukommen.


hd: Jede Zeit versucht, sich eine Norm zu geben, um einen Anhaltspunkt zu finden. Die Norm formuliert sich über Gesetze, über Sprache und auch über Bilder. Bilder helfen, eine Norm darzustellen, auch im Diskurs. Die Normen aber fraktalisieren sich heute, es gibt immer kleinere Gruppen, es splittet sich immer mehr auf. Es ist ja gerade interessant, dass Bilder den Deutungskonsens eines Diskurses abbilden. Bei der Atomenergiefrage damals gab es zum Beispiel das Bild des Kühlturms, welches mit dem Schriftzug ‹Nein› darüber zu einem Zeichen wurde. Das war wie ein Signet, an das man sich halten konnte: ‹Kühlturm – schlecht›. Ein Kühlturm aber hat nichts mit Radioaktivität zu tun und ist weder schlecht noch gut, er erfüllt einfach eine Funktion der Kühlung, die sich architektonisch markant darstellt. Ein Hauptproblem für mich war deshalb, wie ich mit diesem Kühlturm umgehe, denn ich wollte diese Deutungs-Norm nicht zementieren.

Deshalb sind meine Aufnahmen des Kühlturms dreiteilig. Ich habe ein Innenraumbild gemacht; dann bin ich hochgegangen und habe so den Turm als Fläche und in einer dritten Aufnahme als Mauer fotografiert. Ich hatte also letztlich alle Elemente des Kühlturms, aber man sieht ihn nie als Ganzes, nie als das, was man erwartet.


tm: Inwiefern versuchen Sie beide, den Menschen durch Bildereinen Impuls zu geben? In welche Richtung wollen Sie die Diskussion lenken?


us: Ich wurde von einem - leider früh verstorbenen - Zürcher Kunst- und Filmkritiker kritisiert, ich mache ein Realismusprogramm am Fotomuseum Winterthur. Ich habe mich bei ihm dafür bedankt, weil das ein wesentlicher Teil meines Verständnisses eines Museums für Fotografie ist.

Mich interessiert die Reibung eines Autors an der Wirklichkeit, wie er die Dinge wahrnimmt und sich damit konfrontiert viel mehr als die pure Inszenierung im Studio. Und darin verbirgt sich dann doch eine Art aufklärerischer Impetus. Ich möchte den Leuten eine grosse Freude bereiten, aber ich möchte  auch, dass sie sich in eine Welt hineinbegeben, die ihnen vielleicht auch inhaltlich und emotional etwas gibt.

Heute leben wir unumstritten in einer Bildwelt. Es gibt aber keine Auseinandersetzung mit dem Bild, keine ‹Bilderziehung›, damit die Leute irgendwann das System Bild begreifen. Dabei kommuniziert die heranwachsende Generation durch Apps wie ‹Instagram› und ‹Snapchat› zunehmend nur noch mit selbstgeschossenen Bildern. Relevant ist auch, wie sich dabei die Grenze zwischen ‹privat› und ‹öffentlich› immer mehr auflöst. Das interessiert mich sehr. Deshalb engagiere ich mich dafür, dass sich ein Bewusstsein über die wachsende Bedeutung des Bildes in der Gesellschaft entwickelt. 


tm: Und du, Hans?


hd: Ich möchte das nur noch vom Bilder-Machen her ergänzen: Ich fotografiere nur Dinge, die ich mit blossem Auge sehen kann. Es gibt nur ein Bild im in IN VIVO, das meine Regel bricht. Es handelt sich dabei um die Ultraschallaufnahme eines Embryos. Es war für mich aber klar, dass ich auf diesen Weg nicht mehr weiter gehen durfte. So habe ich ab und zu zu Mitteln gegriffen, die komplexe Vorgänge darstellen können. Vorgänge, die ich nicht sehen kann. Zum Beispiel habe ich Aufnahmen von dunklen, fast unnatürlich schwarzen Eiskristallen gemacht, welche man in Laboratorien findet und mir von den Dingen erzählt haben, die dort vor sich gehen. Es ist essentiell, das wir dem, was wir selbst mit unseren Augen sehen, trauen und nicht auf das vertrauen, was andere sagen. 


us: Ich wollte gerade sagen: «Du bist ein Hochstapler» (lacht), «das kannst du ja nicht mit deinen Augen sehen!». Denn du hast Recht, es gibt einen Unterschied, ob man auf die Haut schaut oder ob man in die Haut hineinschaut. Bei letzterem bist ja auf Pathologen angewiesen, die dir alles unter der Haut zugänglich machen, damit du es überhaupt erst mit dem Auge sehen kannst. Das ist eine Art von Grenzverschiebung. Diese Grenzen verschieben sich laufend und da spielen natürlich auch die Normen eine grosse Rolle. 


tm: Ein Thema, welches uns zudem interessiert, ist die Verflechtung von Architektur und Fotografie.


hd: Architektur baut über Materialien Räume, während das Bild eine Ebene ist, eine Fläche. Das sind zwei komplett verschiedene Dinge, die sich eigentlich gar nicht zusammen bringen lassen. Da scheitert man von Beginn an! 

Bei meinen Fotografien zu den ersten drei bauten von Peter zumthor für die Ausstellung PARTITUREN UND BILDER in der Architekturgalerie Luzern, habe ich dann für mich die Lösung gefunden, die ich beim IN VIVO - Zyklus schon begonnen hatte. Ich habe versucht, ein Gebäude nicht über das Einzelbild sondern über ein Bildsequenz neu aufzubauen, zusammenzusetzen, indem ich Teilaspekte und grosseräumige Ansichten in einen Kontext gesetzt habe. Analog dem, wie auch das Auge eines Besuchers durch einen Raum wandert, und sich so ein Bild des Raumes macht. Diese Überlagerung von Nah und Fern ist für mich eine Möglichkeit, räumliche Tiefe darzustellen, nicht die aufgeladene Perspektive der heute gänigen Renderings. 

(Überlegt) Ich hätte zum Beispiel das Corbusier-Haus am See nie auf diese Art fotografieren können. Bei dem müsste man wirklich mit Farbigkeit, Farbüberlagerungen arbeiten. Rot, gelb, balu. Ich hatte zu Beginn ja auch versucht Peter Zumthors Bauten mit Farbe zu fotografieren. Aber das funktioniert nicht. Ich kenne, möchte ich behaupten, keine Bauten von Peter Zumthor, wo die Farbfotografie gut ist. Hingegen bei Herzog & de Meuron, da finde ich Fotografien nur farbig adäquat. Solche Nuancen sind interessant für mich, wenn ich mich einlassen kann auf die Darstellung der Architektur.


tm: Kann man In VIVO auch als eine Arbeit über Tabuzonen der Architektur lesen?


hd: Im IN VIVO Bildzyklus habe ich die einzelnen thematischen Tabuzonen über Arbeitsräume und somit über gebaute Räume dargestellt. Da stellte ich mir natürlich auch manchmal die Frage, wie der Architekt mit Aufgabestellungen in Zonen der Tabus umgeht. Was für eine Motivation hat ein Architekt, ein Labor für Tierversuche zu entwerfen? Letztlich konnte ich das Thema der Tierversuche nur über die Architektur darstellen. Es ist ja nicht einfach, der Ausweglosigkeit an einem solchen Ort ein Bild zu geben. Also diese Katze in IN VIVO im Kapitel ‹Chemie I›, die hatte keine Chance. Ich hab dann die Architektur benutzt, um das zu zeigen. Ich hab den Raum genommen, in dem die Tiere gehalten werden: Im Buch sieht man zwei Mal denselben Raum, aber einmal um 90° gedreht. Ich hab den Boden aufgeworfen - als Wand ins Hochformat, dann ist es so wie eine Burg, bei der man die Mauern nicht mehr überwinden kann, in der man gefangen ist. Man kommt nicht mehr raus, es beginnt sich alles zu drehen.


us: Du sprichst von der Unmöglichkeit der Fotografie im Umgang mit der Architektur, vom Problem, dass körperlich erfahrbarer Raum dementiert und auf eine zweidimensionalen Fläche reduziert wird.

Die Fläche der Fotografie ist höchstens einen Millimeter dick - weil wir einen Träger brauchen - und auf dem Bildschirm haben wir das Gefühl von einem gänzlich körperlosen Bild. Die Fotografie ist wie die Umkehrung der Architektur. Gleichzeitig kann man sich Architektur ohne Fotografie kaum denken. Seit der Erfindung der Fotografie ist die engste Beziehung überhaupt - aus der Sicht der Fotografie - diejenige mit der Architektur. Die ersten Bilder waren von Gebäude, weil das sich nicht bewegende Körper waren und somit Dinge, die man mit der damaligen Technik fotografieren konnte. Heute lässt sich Architektur ohne Fotografie praktisch nicht mehr vorstellen.

Viele Bilder und Vorstellungen, die wir von Architektur haben, sind über die Fotografie dieser Architektur. Ganz einfach weil wir nie dort waren. Ich glaube, dass wir in einer Welt leben, die vieles langsam in Richtung der Bilder transformiert. Alles wird zum Bild.

Ein Engadiner Haus  mit seinen drei Meter dicken Wänden ist für und gegen alle Erdbeben und Lawinen der Welt gebaut. Die Häuser von Mies van der Rohe oder Philip Johnson haben eine unendliche Transparenz, als wäre das Gebäude nur noch ein Filter, durch den die Welt diffundieren kann. Für mich wird die Architektur immer dünner. Und die dünnste Form der Architektur in das Bild der Architektur.


hd: Es gibt aus meiner Sicht, vereinfacht ausgedrückt, in neuerer Zeit zwei Zeitperioden, in denen die Architektur und die Fotografie sich gegenseitig gefunden haben: Die Bauhauszeit und die 70er-/80er-Jahre, in denen sich, wie ich meine, die Fotografie neu erfunden hat. Parallel dazu ist auch die Architektur neue Wege gegangen und hat die jeweilge neue Fotografie gesucht. Ich denke, diese Erneuerung der Architektur wäre ohne die zeitgleiche Erneuerung der Fotografie nie möglich gewesen. Interessanterweise sind die Perioden der Erneuerung immer sehr kurz. Es geht danach noch weiter, aber der eigentliche Input ist kurz. Die Darstellung der Architektur aber, die gibt es, seit es Architektur überhaupt gibt. Mich interessieren die Zeiten, wo in der Architektur und in den Künsten gemeinsam nach neuen Bildern gesucht wurde.


us: Die Geschichtsschreibung hält nur die Höhepunkte fest, wie du sagst. Aber die Periode an sich dauert noch viel länger an! Die Bauhausarchitektur und die Bauhausfotografie war beispielsweise von 1928 bis 1978 aktiv. Bis in den 1970er-/80er-Jahren wurde an der Fotoschule in Zürich noch genau das Gleiche gelehrt...


hd: ... absolut ja, das ist ja das Langweilige.


us: Ich hatte ein Gespräch mit Heinrich Helfenstein, dem Architekturfotografen. Er hat den absolut idealen Moment für den Fotografen beschrieben, den Moment, wenn die Architektur fertig ist und es drei Tage dauert, bis die Benutzer einziehen. In diesen drei Tagen hat der Architekturfotograf das Gebäude für sich, es gehört ihm. Das Gebäude ist fertig, es ist sauber und noch nicht benutzt. Eigentlich muss man sich fragen, ob das schon Architektur ist - oder noch Modell. Es gibt diesen wunderbaren kleinen Aufsatz von Roland Barthes aus den fünfziger Jahren, in dem er schreibt, dass eine Hose erst durch das Tragen zur Hose wird. Vorher ist sie irgend ein Stück Stoff. Es wäre die Frage, ob erst durch das Benutzen der Architektur diese wirklich zur Architektur wird.

Und in diesen drei Tagen kann der Fotograf relativ frei fotografieren - oder aber, je nach Auftragslage,  auf schärfste Anweisung des Architekten. Architekturfotografie ist auch reine Propagandafotografie! Der Architekt sagt dem Fotografen haargenau, wo er zu stehen hat und welche Höhe er einnehmen muss, damit sein Gebäude genau den gewünschten Eindruck macht.


tm: Hans Danuser, haben Sie das so erlebt?


hd: Das was Urs Stahel sagt, ist heute sicher das Übliche. Heute geht's um sehr viel. Ein Architekt kann es sich nicht leisten, «falsch» gezeigt zu werden. Peter Zumthor, jetzt sind wir in den 80iger Jahren, hatte mir damals auf meinen Wunsch eine ‹Carte Blanche› gegeben. Die Architektur suchte neue Bilder, da sich auch die Architektur selbst erneuert hatte. Dafür waren viele bereit und hatten auch eine Lust, Risiken einzugehen. 


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Text zur Arbeit IN VIVO von Hans Danuser, verfasst von Urs Stahel: «Hans Danuser hat sich mit diesem Grossprojekt, das Serie um Serie während der achtziger Jahre entstand, in zentrale Macht- und Wertebereiche unseres Denkens und Handelns, Kalkulierens und Wirtschaftens vorgewagt. Er hat sieben neuralgische Stellen der Wirtschaft, Forschung und Technik als Orte seiner fotografischen Bildarbeit gewählt: ‹Gold›, ‹A-Energie›, ‹Medizin I›, ‹Medizin II›, ‹Physik›, ‹Chemie I›, ‹Chemie II› nannte er die Serien. Und jede davon nahm sich einer anderen Problematik heutigen Verhaltens an.»