Januar 1990  /  Kunstforum, Band 107

Clegg & Guttmann

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Clegg & Guttmann (geb. 1957) betreiben seit 1979 im Team eine Porträtfotografie, bei der sie nicht die Regeln des Historikers befolgen, der ein Ereignis redlich und ernsthaft erzählt (fotografisch dokumentiert), vielmehr liebäugeln sie mit der Rolle des Hofmalers oder des Redners, der das Dargestellte je nach Absicht überzeichnet oder unter- und hintertreibt. Ausgangspunkt für diese Arbeit war ihr Interesse für jene Porträts, die heute noch die „Jahresberichte der Führungsetagen“ zieren. Porträts, die an das erste Auftreten des aufgeklärten, selbstbewußten, machtbewußten Bürgers in der holländischen Porträtkunst des 17. Jahrhunderts erinnern; Porträts, in denen die Präsenz zugunsten der Repräsentanz, die Natürlichkeit zugunsten eines rollenspezifischen rhetorischen Gehabes aufgeweicht oder aufgegeben ist: Nicht der Mensch zählt, sondern die Position, die Macht, die Rolle, die er innehat.

Zu Beginn waren es ausschließlich Männer. Zum Beispiel die Fünfergruppe von „Executives of a Worldwide Company“ (1980): fünf Männer, aufgereiht wie Perlen an einem lose sich übers Papier ziehenden Faden. Licht fällt einzig auf ihre Gesichter, ihre Hände und die blitzenden Dreiecke, geformt aus Revers, weißen Hemden und Krawatten. Der Rest der Figuren und das gesamte Umfeld versinken im altmeisterlichen Dunkel. Einer von ihnen ist unschwer als Chef auszumachen – nicht der im Bild höchstpositionierte, nicht der bestgekleidete, sondern der mit seiner Balance aus Bestimmtheit (im Blick) und souveräner Gelassenheit (der übereinandergelegten Hände) beste Spieler seiner Rolle.

Es folgten weitere Gruppenporträts von „Executives“, und immer sind da ins Licht gestellt: die Hände, gefaltet, in die Hüfte gestemmt und übereinandergelegt; die Köpfe, im Hochmut wohlwollend geneigt oder angestrengt napoleonisch hochgetragen; die reinweißen „modernen männlichen Torsi“ aus Hemd und Krawatte. Allmählich aber wandelten sich die Hintergründe. Zuerst wurden kommentierende, konterkarierende Bilder (aus der Kunstgeschichte) wie Inserts collageartig ins Dunkel geschnitten, später füllten die Bilder den Bildgrund aus: Die Männer, und jetzt auch die Ehepaare, die Besitzerpaare, die Kinderpaare, stehen oder sitzen vor „Fototapeten“, vor Fotohintergründen, die Architekturfragmente wiedergeben und über diese Raumabbildungen Ambiente suggerieren. Bei diesem Wandel des Bildaufbaus und der Bereicherung der Thematik gewannen allgemein die Kleider, die Körperhaltungen und das Verhältnis von Figur und Grund an Bedeutung, geblieben ist der rhetorische Einsatz von Mimik und Gestik, verstärkt hat sich aber die Ambiguität der aufgesetzten Posen.

Clegg & Guttmann arbeiten wohl mit der eingangs geschilderten Bildstrategie der Repräsentanz (in den ersten Arbeiten beziehen sie sich explizit auf Frans Hals), darüber hinaus begeben sie sich aber auch in die Rolle des Hofmalers und damit in die konkrete Auftragssituation hinein und porträtieren mit dieser Bildstrategie Führungskräfte von heute (auch Führungskräfte in einem Bereich, der sie selbst betrifft, also Galeristen und Sammler). Sie bieten dabei ein wenig Idealisierung, die rhetorische Aufbereitung eines Images bis zur perfekten „corporate identity“ im Stile altmeisterlicher Malerei, an. Ihre Haltung bei diesem „Dienst“ ist jedoch zweifelhaft: Sie benehmen sich wohl wie Panegyriker, wenn sie den Porträtierten dunkle Kleidung, ein ernstes Gesicht (immer mit geschlossenem Mund), also eine gemessene Haltung, empfehlen, gleichzeitig aber gebärden sie sich wie Hofnarren (aktueller: wie Kyniker), die mit gezielten Dissonanzen den Wohlklang stören. Sie arbeiten wohl mit all jenen Elementen, die ein Bild im Stile eines Staatsporträts ermöglichen und die das Porträt zur Allegorie der Macht verwandeln könnten, aber nur, um die perfekte Illusion gleich wieder zu stören, indem sie ihre Konstruktionsprinzipien für den Betrachter durchsichtig machen: Die Männer wirken häufig zu überheblich, zu selbstbewußt, zu zynisch, insgesamt also zu typisch, die Frauen zu kalt, zu verkrampft oder zu verbittert. Die Architekturhintergründe, die den Schein eines echten, gediegenen Ambientes zu erzeugen vermöchten, sind absichtlich so nachlässig montiert, daß sie sich als hingeklebt oder hingehängt zu erkennen geben. Die Figuren – direkt vor die Hintergründe gestellt und mit Licht derart angestrahlt, daß ihre Schatten quer zur Illusion der räumlichen Perspektive aufs Papier fallen – erscheinen, als hätten sich ihre Perücken unbemerkt verschoben. Die amerikanische Kunsthistorikerin Nancy Spector erinnert deshalb zu recht an den Verfremdungseffekt im epischen Theater von Bertolt Brecht.

Mit dieser Strategie erreichen Clegg & Guttmann im Bild eine unangenehme, spannungsreiche Pattsituation: Die Bilder sind weder noch; die Porträtierten sind weder authentisch noch repräsentierend wiedergegeben. Dem Betrachter wird dadurch der Diskurs vermittelt, den Clegg & Guttmann führen; er erfährt, wie erschöpft, wie hohl die Posen sind, wie sie nur noch als Zitate aus vergangenen Zeiten erscheinen, aber nicht mehr gefüllt sind, weil es heute nichts mehr zu repräsentieren gibt, weil wir alle Angestellte („executives“) sind. Clegg & Guttmann zeigen diese „Führungskräfte“ extrem isoliert, kaum je schaut einer den anderen an: Nicht die „splendid isolation“ ist aber ihr Thema, sondern die hilflose, ratlose und, im krampfhaften Festhalten an einer überlieferten, leerlaufenden Rhetorik, lächerliche und tragische Verlorenheit des Menschen.

Nun, das bisher Gesagte deckt einen guten Teil ihrer Arbeit ab. Es würde gänzlich zutreffen, wenn Clegg & Guttmann sich immer auf Auftragssituationen – und das heißt auch auf Machtsituationen – einlassen würden. Dann könnte man mit dem etwas gewagten Vergleich schließen, sie arbeiteten wie einst Giotto, der in der Kirche San Francisco in Assisi den Auftrag zur vollen Zufriedenheit der Kirchenoberen erfüllt hat, gleichzeitig aber die Spannung zwischen Auftrag und künstlerischer Freiheit auszuhalten wußte, wenn er etwa ein Kreuz von hinten, samt seiner Aufhängung, seiner Konstruktion gemalt und damit der Fraglosigkeit in damaligen Zeiten ein starkes Stück weggeschnitten hat. Aber Clegg & Guttmann sind Künstler der achtziger Jahre unseres Jahrhunderts, des Simulations-Zeitalters: Wenn also nur noch auf vorhandene Repräsentationsformeln zurückgegriffen wird, die zudem leerlaufen, weil sie der realen Wirklichkeit nicht mehr entsprechen, kann doch ebensogut ein Schauspieler den Part des Porträtierten spielen. Beide beziehen sich auf „vorgegebene Kodes der Selbstdarstellung“, beide imitieren und simulieren – der Unterschied zwischen realer und schauspielernder Person verschwindet im Bild. Clegg & Guttmann betreiben mit ihren Fotografien also nicht nur eine (verführerische) Repräsentations- und Machtkritik, sondern zusätzlich eine Medienkritik: Sie beginnen, auch Schauspieler einzusetzen, immer wieder die gleichen in immer neuen Konstellationen zu neuen Bedeutungen. Sie gebrauchen die gleichen Hintergründe mehrmals für verschiedene Fotografien in unterschiedlichen Situationen, setzen sie damit auch wie Schau- spieler ein, machen sie sogar zu „Stars“ ihrer Arbeiten, wie sie selbst erklärten. Sie arbeiten demzufolge mit einer Art Kuleschow-Effekt, benannt nach dem russischen Pionierfilmer Lew Kuleschow, der brillant vorführte, wie ein filmisches Zeichen je nach Kontext, je nach vorhergehendem und nachfolgendem Bild radikal anders gelesen werden kann. Die Trennung zwischen echt und falsch, die Frage, ob ein fotografisches Zeichen eine Referenz in der Wirklichkeit hat, verschwimmt dadurch, wird unwichtig – man kann sich vollumfänglich auf das fotografische Bild in neugewonnener Totalität konzentrieren.

Die Frage, die nach einer solchen Betrachtung offenbleibt, ist jene nach der Motivation der Künstler. Was sind ihre Beweggründe, die sie zehn Jahre lang mit echten Auftraggebern fiktive Porträts, mit fiktiven Auftraggebern (Schauspielern) echte Porträts herstellen lassen? Immer mit der Ambivalenz zwischen glamouröser Verführung und reflektierender Durchsichtigkeit, zwischen Erfüllung und Entlarvung? Und immer mit der Haltung, die Tilman Osterwold auf den konzisesten Nenner gebracht hat: In diesen Bildern wird „aufrichtig gelogen“? Clegg & Guttmann geben darauf in einem eigenen Text eine indirekte Antwort: „Wo stehen wir also, wenn wir vom System zwar nicht toleriert, aber von irgendeiner seltsamen, selbstzerstörerischen Konfiguration zur Kritik ermuntert werden? Und wenn nun Kritik an sich zur begehrten Ware wird – nicht trotz, sondern wegen ihres Inhalts? Solche Zweifel verlangen eine paradigmatische Verlagerung – nicht mehr Kunst als Kritik, sondern Kritik als radikale Unterhaltung. Aber in einer Zeit, in der die Politik selbst Teil der Unterhaltungsindustrie wird, ist radikale Unterhaltung womöglich noch die beste politische Mitsprache, auf die wir hoffen können.“ Also doch wieder, notgedrungen und aktualisiert, die Rolle des Hofnarren?
Urs Stahel