September 2010  /  Du 809

Dies ist keine Fotografie!

<p>Das Ende des unbeschwerten Bildermachens.<br />Stefan Burger: <em>Total-Liquidation</em> (2009, Installationsansicht, gefundene Vitrine, Aluminium, Glas, Holz, Stoff, 94 × 172 × 25 cm)</p>

Das Ende des unbeschwerten Bildermachens.
Stefan Burger: Total-Liquidation (2009, Installationsansicht, gefundene Vitrine, Aluminium, Glas, Holz, Stoff, 94 × 172 × 25 cm)

In eine Vitrine blicken wir, einst aussen in die Hauswand eingelassen und feinsäuberlich mit Samt oder Seide ausgelegt, die Schauvitrine eines Juweliers, der nach langen Jahren sein Geschäft aufgeben musste. Irgendwann wurde es zu gefährlich, Uhren und Schmuck draussen in die Vitrine zu legen, Fotografien, farbige Repräsentationen der im Laden angebotenen Gegenstände, mussten fortan genügen. Stefan Burger hat diese Vitrine nach der „Total-Liquidation“ des Schmuckladens ausgebaut und in seinen Kunstkontext eingebaut, er hat sich das Objekt, seine Geschichte und auch seinen Zauber angeeignet. Nach der Geschäftsaufgabe wurden alle Fotografien, alle Verkaufsargumente herausgenommen, geblieben sind einzig die Spuren des Lichts, des Vergehens von Zeit. Tageslicht hat über Jahre die Seide imprägniert und ausgebleicht, nur da, wo der Juwelier die Fotografien hingestellt, hingelegt hatte, blieb das Vitrinenfutter satt in der Farbe. 

Das Spiel von verblichenen und unverblichenen Stellen lässt eine lange Geschichte vermuten, lässt die Lebensgeschichte eines Kleinladens, des Besitzers eines Uhren- und Schmuckladens aufleben und den müden, schweren Gang eines wohl nie wirklich einträglichen Geschäfts erahnen. Die dunklen Rechtecke, die sich zu einem Gemälde von unterschiedlich grossen abstrakten Flächen anordnen, sind „blind“, sind Schatten. Sie erzählen keine Details, aber sie geben den Wochen, Monaten, Jahren, die sich in sie eingeschrieben haben, geben dem Warten und Hoffen auf Verkauf, auf Erfolg, eine stumme dichte Form. Das Bild der Vitrine, das Bild der Zeit – entstanden durch das Wegnehmen von Bildern, von Fotografien – wirkt so intensiv, dass es sich ketzerisch zu fragen lohnt: Erzählen Bilder mehr und tiefer, wenn sie verschwinden, wenn sie sich abwenden, wenn sie blind werden? Weisen die bilderstürmerischen Argumente des frühen christlichen Abendlandes und des islamischen Morgenlandes von der Oberfläche in eine (zeitliche) Tiefe? Der Unmittelbarkeit des Bildeindrucks wird hier die Zeitdauer, dem Schnappschuss die Kontinuität entgegen gehalten. Der leuchtend orange, über das Schaufenster geklebte Schriftzug „Total-Liquidation“ läutet vielleicht nicht nur das Ende des Ladens, sondern das Ende des unbeschwerten Bildermachens und den Anfang des Bilderzweifelns ein. Stefan Burgers verlagertes Objekt ist keine Fotografie, aber es visualisiert auf attraktive, hintergründige Weise eine kleine „Geschichte“ der Fotografie. 

Das Thema der leeren, stummen Bilder findet sich wiederholt in seinen Arbeiten. In der „tonnenschweren Nullaussage“ einer wandgrossen schwarzen Fototapete zum Beispiel, auf der eine Verkehrstafel, aufwändig in einen Felsblock geschraubt, aus dem Dunkeln geblitzt ist. Die Tafel ist blind, leer, Aufwand und Ertrag sind massiv gegenläufig. Stefan Burger treibt das Sinnbild eines Informationsgaus ins Absurde, indem er das Verkehrsschild rundum mit vertrockneten Tomatenpflanzen schmückt. Die Nachtschattengewächse garnieren müde den nächtlichen Tafeltanz. Eine andere Fotografie zeigt ein Schilderdickicht am Meer, eine ballettartige Installation von kreisrunden oder quadratischen Schildern, die sich noch schnell vor dem Aufgang der mächtigen Sonne gegenseitig sinnleere Vorschriften zu erteilen scheinen. Stefan Burgers „Anweisung zu einer erweiterten Bildnutzung (von hinten mit Schwung über ein Bild stürzen)“ wiederum zeigt eine dunkelrote, monochrome Plakatwand in verschneiter ländlicher Umgebung, ein Billboard auf dem Land, das von hinten über eine Holzleiter be- und überstiegen werden kann. Eine Installation wird hier Bild, wird ironisches Sinnbild des Begriffs „Bildnutzung“ – Bildnutzung nicht als normaler, vervielfältigender Gebrauch des Bildes verstanden, sondern humoristisch als Hürdenlauf, als Besteigungsziel, als Reiten des Bildes angelegt.

Stefan Burgers bisheriges Werk stellt einen Parcours voller Bilderfragen, Bilderfallen, Bilderrätsel auf. Die Produktion der Bilder sowie ihr Gebrauch, ihr Vorzeigen, Vorstellen, Ausstellen werden von ihm befragt, werden hintergründig vorgeführt. Das Selbstverständnis im Bildermachen ist angekratzt. Bilder sind nur les- und verstehbar in einer strengen, komplexen Kontextualisierung. Doch die Welt der Bilderproduktion und -konsumption ist kaum bereit, die dafür notwendige Energie und Zeit zu investieren. Bilder flattern durch unsere Städte und Köpfe wie Luftschlangen, wie verstreute Hakle-für-den-zarten-Po-Papierchen. Dekontextua­lisierte Bildfetzchen tanzen sexy und leicht durch den luftigen Raum und wirbeln jedes von Kontinuität geprägte Denken und Handeln auf. Gegenüber dieser Symphonik der attraktiven Bilder, des endlosen Bilderflusses wirkt Stefan Burgers Vorliebe fürs Aufdecken – von Umständen, Mechanismen, Vorrichtungen – , fürs Hinterfragen von Glaubenssätzen auf den ersten Blick bildverweigernd. Er scheint mit Bildern Bilder zu verweigern, scheint, fast ikonoklastisch, den Bilddeckel anzuheben, um sich dem Dahinter, dem Müll und Moder zu widmen – doch seine Gegenstände der Verweigerung funkeln gerade da, wo sie ihr Funktionieren preisgeben, wo ihr Verlauf, ihr Entstehen und Ableben zu beobachten ist. Mit einem „Nebelhorn“ ausgerüstet hornt sich Burger durch den dichten Schaum, die Unsichtbarkeit, die die Bilder selbst erzeugen. Durch die Bildfallen, die sich in Produktion und Rezeption, im Vieleck zwischen Betrachter, Bild, Bildmotiv, Bildträger und Legende stellen – auf der fröhlichen Suche nach einem Stückchen Klarheit in den Klarheit nur vorspiegelnden, glimmernden, schimmernden Bildern und Welten. 

 

Stefan Burger stellt vom 11. 9. – 14.11. 2010 im Fotomuseum Winterthur aus. Im Christoph Merian Verlag erscheint die erste Werkübersicht.