Juni 2012  /  Du 827

Digital Photography never looked so analog

<p>Zwei Hipstamatic-Fotos aus dem Projekt <em>Basetrack – One-Eight</em> von Balazs Gardi: Corporal Michael Perry nach der Rückkehr von einem Feuergefecht nahe des Dorfes Doghaka im Bezirk Musa Qala in der Provinz Helmand, Afghanistan, am 7. November 2010.</p>

Zwei Hipstamatic-Fotos aus dem Projekt Basetrack – One-Eight von Balazs Gardi: Corporal Michael Perry nach der Rückkehr von einem Feuergefecht nahe des Dorfes Doghaka im Bezirk Musa Qala in der Provinz Helmand, Afghanistan, am 7. November 2010.

<p>Ein US-Marine hält Wache auf dem Aussenposten 7171 in der Provinz Helmand, Afghanistan, am 28. Oktober 2010.</p>

Ein US-Marine hält Wache auf dem Aussenposten 7171 in der Provinz Helmand, Afghanistan, am 28. Oktober 2010.

«Digitale Fotografie sah noch nie so analog aus. Hipstamatic bringt den Look, das Gefühl, die unvorhersehbare Schönheit und den Spass der Plastik-Spielzeugkameras der Vergangenheit zurück! Hipstamatic behält die Eigenarten von alten Aufnahmen bei, gibt dir aber die Möglichkeit, Linsen, Film und Blitzeinstellungen mit einem Fingerwisch zu verstellen.» Die Produktewerbung weiss es genau: Seit zwei, drei Jahren schäumen Retrowellen über das digitale Land. Hipstamatic war einst eine billige Plastikkamera, deren Bilder mangels guter Optik aussahen, als seien Licht und Raum von Hand geknetet worden, als sei der Film erhitzt, die Emulsion weich und die Erinnerung in Süsse oder Würze getunkt worden. Die Hipstamatic-App nun erweckt dieses Gefühl zu neuem digitalen Leben, mit einem kleinen Klick werden Stimmungen erzeugt, Szenen verzaubert, Vorzeichen verkehrt. Genauso wie bei den Filterprogrammen von Instagram: «Snap a picture, choose a filter to transform its look and feel, then post to Instagram … It's photo sharing, reinvented.» Vor eineinhalb Jahren lanciert, zählt dieses Programm bereits 30 Millionen registrierter Benutzer und wurde eben, ohne bekanntes Ertragsmodell, für eine Milliarde Dollar an Facebook verkauft. Der Kauf mag versteckten marktstrategischen Gründen folgen, der Hype des Klickens, Filterns und Hochladens hingegen steigt ungebrochen in den Bildhimmel.

Die Swissness setzte zum Höhenflug an, seit der Finanzplatz Schweiz von allen Seiten angegriffen wird. Und der Retrostyle blüht im ganzen Westen, seit ihr Wirtschafts- und Kulturkolonialismus ins Stocken geraten ist: Landi-Geist im Kleinen, Retrochic im Grossen. Identitätsversicherung greift offenbar immer nach hinten, wenn die Krise naht. Das ist ein wesentlicher Grund, weshalb das Einfärben der Gegenwart so unglaublich blüht. Aber er ist nicht der einzige Grund dafür. Digitale Bilder, auf den wie Schaufenster glänzenden, strahlenden Bildschirmen betrachtet, sehen alle irgendwie gleich aus. Egal, welches Motiv wann und wo und von wem fotografiert worden ist, die neue Qualität digitaler Bilddaten streamlined die Erscheinung zu einem Bilddurchschnitt, glättet die Extreme zu einer, sagen wir,  Fielmann-Werbung ein. Man kann die Bilder weder riechen noch greifen oder lecken, deshalb ist es schwierig, in den digitalen Farbflecken etwas Eigenes, etwas Persönliches zu entdecken. Dagegen arbeitet diese App. Klick, klick, und die Daten sehen aus wie Siebzigerjahre, wie Sechziger- oder Fünfzigerjahre, heimeln an, erinnern an alte Filme, Werbung, alte Zeiten, als die Langspielplatten noch gezogen-weiche und warme Töne von sich gaben. 

In dieser Retromanie geben sich Verlustangst hier und Realverlust dort die Hand, paaren sich perfekt miteinander. Daran ist wenig auszusetzen, solange es um private Erinnerungen, um privates Life-Styling geht. Ein Hauch Vergangenheit, die Illusion des Greifbaren, das Gefühl des vertrauten Scheins, bevor der ach so aktuelle Alltag wieder Oberhand gewinnt, das gönnen wir uns alle irgendwann. Was aber, wenn sich Kriegsfotografen dieser Mittel bedienen, wenn sie, wie im Fall von Damian Winter, gar Preise dafür gewinnen? Wenn der Krieg in Afghanistan ausschaut wie Zigarettenwerbung im Retrolook, wenn Uniformen, Blicke, Dreck anheimeln wie die Ölspuren im Gesicht des Mechanikers von nebenan?

Damon Winter, Teru Kuwayama, Balzacs Gardi und andere Frontfotografen benützen die Smartphone-Fotografie und Retro-Apps, um ihre Bilder neu zu positionieren, einen privateren, familiäreren Schein zu präsentieren. Damon Winter folgte mit seinem iPhone den «day-to-day trials of the First Battalion, 87th Infantry of the 10th Mountain Division in northern Afghanistan». Der Einsatz des Smartphones anstelle der üblichen Kameras zwingt ihn zu grösserer Nähe, die Aufnahme wirken, als sei er einer der Soldaten, die selbst auch fotografieren. Das ist das Gute daran. Doch die grössere Nähe wird durch die Hipstamatic-App unterlaufen. Die quadratischen, abgerundeten, weichen, verfärbenden Bilder entfernen den Krieg wieder, lassen ihn historisch, fast malerisch ausschauen. Eine bis auf die Zähne mit zeitgenössischer Kriegstechnologie ausgerüstete Truppe wirkt so ein wenig wie die Reitertruppe von Dschingis Khan.

Kriegsbilder haben sich seit dem Beginn der Fotografie mit jeder neuen Technik verändert. Anfänglich waren sie total statisch, dann sehr bewegt, später erschreckend nahe und direkt. Hier jedoch verwandeln sie sich zum Laufsteg. So wie wir den Smartphones real neue «Kleidchen» verpassen können, wird der Krieg, sein Schrecken, seine Unmenschlichkeit in neue coole Farben gesteckt. Unklar ist, ob weiterhin mit dem Ziel, uns Betrachter auf neue Weise zu emotionalisieren, uns so über die Gräuel aufzuklären. Oder allein mit der Absicht, durch Farbfiktionalisierungen Realität noch besser in Erzählung, in verkaufsfördernde Mediengeschichte zu verwandeln. Wir wissen es nicht, nicht mit Bestimmtheit. Das Rennen ist also offen – und attraktiv.