20 May – 1 July 2022  /  Art Vontobel, Zürich

A New Gaze 3: Dongkyun Vak: Heatwave
Prize winner of A NEW GAZE 3
Co-Curated with Georgina Gasparis and Luisa Baselgia

Eröffnungsrede / Opening Speech

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Meine Damen und Herren, 

herzlich willkommen auch von meiner Seite, von der – zusammen mit Georgina Casparis – kuratorischen Seite. Wir haben in den vergangenenen Monaten Dongkyun Vak in seinem grossartigen Projekt begleiten dürfen. Ich danke gleich zu Beginn allen, die zu diesem wunderbaren Projekt beigetragen haben, allen voran natürlich Dongkyun Vak! Congratulation Dongkyun for this deep, sharp and highly visual show!!! A Masterpiece, according to me!

Ich möchte Ihnen zu Beginn zwei Reihen vor Augen führen, Zahlenreihen, Jahresreihen, Entwicklungsreihen. Gedankenreihen. 

Zuerst diese:

300‘000 Jahre lang konnten die Menschen tun und lassen, was sie wollten. Sie waren dabei immer nur ein kleiner Teil einer grossen Natur. Vor 8000 Jahren lebten rund 5 Millionen Menschen auf der Erde, vor 2000 Jahren (zur Zeit von Jesus Christus) waren es 300 Millionen. Doch um 1800 herum gab es die erste Milliarde, und nur 200 Jahre später erreichen wir beinahe schon die achte Milliarde Menschen. In der Nacht zum 1. Januar 2022 – also vor etwas mehr als vier Monaten - gab es 7,92 Milliarden Menschen auf der Erde. In den letzten 200 Jahren haben wir nicht nur unsere Präsenz auf dem Planet Erde verachtfacht; wir haben im gleichen Zeitraum auch ein so grosses Wissen – und damit verbunden so grosse Machtmittel – erworben, dass sich die Verhältnisse umgekehrt haben. Wir sind nicht mehr nur ein kleiner Teil einer grossen Natur, vielmehr dominieren wir Menschen nun zu einem grossen Stück die Natur.

Die zweite Reihe habe ich mir zusammengereimt, nachdem ich vorgestern in der ARD Tagesschau sah, dass ein automatischer Mercedes in Deutschland zur Stufe drei (level 3) freigegeben wurde, das heisst, zum total automatischen Betrieb bei schönem Wetter, wenig Verkehr und bis 60 km pro Stunde. Bei der paradoxen Situation, dass ich darin zwar Zeitung lesen darf, aber bei Unfällen dennoch verantwortlich bin. 

Sie erinnern sich, wie Menschen vor Zehntausenden von Jahren die ersten Werkzeuge aus Stein schlugen, ein Granitkeil half beim ersten Weiterkommen. Dann waren es Kupfer, Eisen- und später Stahlwerkzeuge, Messer, Pfeile, Schwerter, Sägen. 1690, also vor 332 Jahren, präsentierte der Franzose Denis Papin den ersten Prototyp einer Dampfmaschine, die mittels Kolben und Zylinder funktioniert. Ohne diese Erfindung und Entwicklung wäre die industrielle Revolution nicht möglich gewesen. Am 20. Juli 1969 schliesslich landeten wir Menschen dann auf dem Mond. Nicht zu sprechen hier von der Entwicklung der Waffen- und Kriegstechnik, die parallel dazu liefen.

Und nun das automatische Auto, von dem schon lange die Rede ist, erstmals für den Verkehr freigegeben: Möglich sei das nur dank modernster Technik: Radar, LiDAR  (ein dreidimensionales Laserscanning), Kameras, Ultraschall- und Nässesensoren messen genauestens, was um das Fahrzeug herum und im Innenraum passiert. Der Autopilot, den Mercedes "Drive Pilot" nennt, sei eine technische Herausforderung gewesen, sagte Technologievorstand von Mercedes, Markus Schäfer, in der Tagesschau. Zitat: "Es gibt sehr viel zusätzliche Technik im Fahrzeug. Die Fahrzeuge haben redundante Bremssysteme an Bord, redundante Lenkungen, ein redundantes zusätzliches Bordnetz und sehr viel Sensorik und Rechentechnik."

Das automatische Auto stellt einen Zeitenwechsel dar. Es übernimmt nun die Technik, der Mensch lässt los. Richtig und rechtlich zuverlässig wird es aber nicht mit 5G, sondern vermutlich erst mit 6G oder 7G oder gar höher wirklich funktionieren. Mit einer starken Erhöhung der Kommunikationsfrequenzen, also mit höherer Übertragungsrate, Kapazität, Latenz, das heisst schnellerer Reaktionszeit, und einer grösseren Dichte. Ob all diese Entwicklungen unsere Hirne eher beleben oder lähmen werden, wird sich weissen, das wissen wir heute noch nicht, aber wir werden ja dann zur Sicherheit rund um die Uhr und rund um unsere Körper herum von Kameras und Sensoren überwacht. Und diese Daten werden laufend ins Werk übertragen. Zugegeben eine doch recht absurde Situation, finden Sie nicht auch?

Stellen Sie sich diese beiden Reihe nun so vor, dass sie sich diagonal kreuzen. Dann stellt das untere Dreieck die alte, bekannte Welt bis heute, und das obere die bekannte und unbekannte Zukunft der Menschheit auf dieser Erde dar.

Dongkyun Vak weiss, dass wir an dieser Kreuzung stehen. Im Gespräch über die Mercedes-Premiere antwortet er mit maliziösem Lächeln: dann wird nicht mehr die Technik dem Menschen dienen, sondern wohl der Mensch der Technik. Ihn interessieren diese Schaltstellen im Anthropozän ausserordentlich. Davon zeugt das hier präsentierte Projekt: Heatwave, Hitzewelle, eine Technologische Morphogenese. 

Er sagt selbst dazu:

„Zu den nicht-menschlichen Objekten, die das Anthropozän ausmachen, gehört die ‹Technologie›. Eine Technologie, die nicht in der Hand des Menschen liegt, unabhängig agiert und sich weiterentwickelt, ist jetzt die Ursache und die Lösung des Anthropozäns. (...) Heatwave ist ein Projekt, das der Visualität von Technologie nachspürt. Angefangen von Granitwürfeln, Betonwellenbrechern, Kreisverkehren, Arkaden, Milchflaschen, Weichspülern, Einweg-Kaffeebechern, Vibram S.p.A., Gore-Tex© und Reinigungsrobotern sind wir von Technologien in verschiedensten Formen umgeben. Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Morphogenese der Technologie. Alle diese Genesen dienen als ausgezeichneter Index der heutigen visuellen Umwelt und sind die kleinste Einheit der technischen Objekte, die das Anthropozän ausmachen. Objekte sprechen zwar nicht, aber sie geben sich durch Handlungen zu erkennen. Ziel dieser Arbeit ist es, die Existenz von Objekten durch die fotografische Praxis zu erkunden und die Anzeichen und Symptome zu diagnostizieren, die sich durch eine Technologie manifestieren, die mit dem Menschen in einem anderen Ökosystem, dem Anthropozän, interagiert.“ (Zitatende)

Im Kontext von Begriffen wie Klimawandel, Biodiversität, CO2-Ausstoss, Artensterben, Versauerung der Weltmeere, Plastifizierung der Erdoberfläche werden in der Regel Bilder publiziert, die die allmähliche Verschmutzung oder die unmittelbaren Auswirkungen einer Katastrophe so aufrüttelnd wie nur möglich zeigen. Fotografen und Fotografinnen reisen sofort an den Ort des Geschehens und zeigen visuell mit dem Zeigefinger auf die sichtbaren Folgen für Menschen, Tiere und Pflanzen. Verbunden mit fetten Schlagzeilen werden die lauten, reisserischen Bilder dann online gestellt und in Zeitungen und Zeitschriften publiziert. Mit dem einen Ziel, uns Betrachtende, Lesende, Mitmenschen aufzurütteln. Dieser Form von agitatorischer Bildsprache steht das Werk von Dongkyun Vak fast diametral gegenüber. Sein Werk ist vielmehr konzentriert, kontemplativ, bestimmt, untersuchend und oft im forschenden Schwarz-Weiss-Duktus gehalten. Er untersucht die technologischen Objekte und ihre Wechselwirkung mit der Natur. Teils in der Welt draussen, und oft gestaged in seinem Studio. Er erstellt in seiner visuellen Recherche einen spannenden Katalog von gleichsam sprechenden, von interagierenden Objekten. 

In den Worten meiner Co-Kuratorin Georgina Casparis: „Durch die Inszenierung des Dreiklangs Natur, Mensch und Technologie weist DV nachdrücklich auf eine zyklische Beziehung hin, in der der Mensch die Natur nachgeahmt hat, um eine zeitgenössische Welt zu inszenieren, eine Welt, in der die Technik der Natur auf der Grundlage ihrer eigenen Prinzipien entgegenwirkt. „Heatwave“ ist daher das Aushandeln von Macht, eine stilisierte Reflexion über das vom Menschen geschaffene und fortgeführte Anthropozän.“ Das Aushandeln von Macht, das Aushandeln von  Verantwortlichkeit, von Responsibility.

Also: bitte schauen Sie genau hin, hier unten und da oben, im elegant ausgelegten Mezzanin. 

Es lohnt sich, denn DV ist immer auch ein sehr präziser visueller Gestalter seiner von ihm zusammengestellten Morphenese der Technologie.

Übrigens der von Teo Schifferli grossartig gestaltete Katalog liegt ebenfalls für Sie bereit.

Viel Spass und vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 

1. What is A New Gaze? What is the goal of the prize?

A NEW Gaze is a prize for young photography, for young photographers. It is awarded every two years by Art Vontobel in Zurich. And it is awarded according to a special procedure. Each time, various experts - curators, gallery owners, lecturers, professors - nominate young photographers from a major region of the world. The first time from North America, the second time from Africa and the third time now, i.e. for A New Gaze 3, from Southeast Asia. The photographers are called upon to submit a concept on a specific theme. A jury then selects the winner from the 60, 70, 80 proposals. The winner of A New Gaze 1 was Eva o'Leary from New York, of A New Gaze 2 it was Kelvin Haizel from Accra in Ghana, and of A New Gaze 3 it is Dongkyun Vak from Seoul in South Korea. 

With this award Art Vontobel wants to promote and present young photography on the one hand, and to allow on the other hand a new, young, fresh look at central areas of human coexistence. A double goal, which is also reflected in the orientation of Art Vontobel's photography collection.

 

2.  Why the topic "Responsibility in the Anthropocene Age" was selected for this edition and what does it mean?

The terms, the perspectives chosen for A New Gaze are also consistent with Bank Vontobel's vision of how contemporary responsible business and economics should function today. The term "Responsibility in the Anthropocene Age" speaks to the general and personal responsibility that we humans bear in the Anthropocene Age, in which we are for the first time having to deal in all clarity with the effects of our actions, our production and consumption. For too long we have looked only in one direction and have been blind to the negative effects of industrialization and the explosion of humanity to 8 billion humans. 

 

3.    Why did the jury chose the work by Dongkyun Vak as the winning project?

Dongkyun Vak does not go out and about, nor does he photograph the pollution of the planet, the dwindling biodiversity, the destruction caused by hard and liquid plastics. Instead, he turns inwards, building something akin to a mindspace in his studio. He turns away from the event and looks into the structure of the situation. Through a collection of photographed objects and situations, forms and phenomena, he seeks to create a kind of index of objects by which he and we contemplate the relationship between nature and culture, humans and technology, the man-made and the techno-made, in the era of the Anthropocene, thereby raising the question as to who or what is actually responsible for the Great Acceleration. He seeks to compare the technology of nature with the technology of machines and objects that develop and evolve from within themselves and, in doing so, sometimes take on quite different and unexpected uses than originally intended. And, not to forget, his photographical execution is excellent.