Januar 2015

Emil Otto Hoppé: Unveiling a Secret
Industrial Photographs, 1912-1937

English Version: Emil Otto Hoppé: Unveiling a Secret →

And if there can be idealism in industry, there can also be romance—the romance of establishing large undertakings from small beginnings, the romance of adventure and achievement … there can be beauty and attraction even in a factory—the attraction of the power of man’s mind over matter, the attraction of feats of scientific and engineering skill, the attraction of a mighty and smooth-running organization.

E.O. Hoppé in Country Life, April 6th, 1929

Emil Otto Hoppé, 1878 in München geboren, 1972 in England gestorben, ist ein spannendes und rätselhaftes Phänomen zugleich. Zu Lebzeiten, vor allem in den zehner, zwanziger, dreissiger und vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts, war er einer der allerberühmtesten Fotografen der Welt. Zuerst als hochangesehener Porträtfotograf in London, mit einem grossen Wohn- und Atelierhaus in South Kensington - dem Millais House mit 27 Räumen auf vier Stockwerken, das vorgängig vom bekannten viktorianischen Maler John Everett Millais bewohnt worden war – und mit einer Klientel, die die allerwichtigsten Politiker, Geschäftsleute, Künstler, Tänzer, Dichter, Schriftsteller, Philosophen und natürlich auch den englischen Adel, eingeschlossen Queen Mary und King George V., umfasste. Danach war er jahrelang als ernsthafter Reisefotograf unterwegs. Er bereiste unter anderem für die Buchreihe Orbis Terrarum im Auftrag des Berliner Wasmuth Verlags zahlreiche Länder, Grossbritannien, Deutschland, Tschechoslowakei, die USA, Indien, Afrika, Australien und Neuseeland u.a., und widmete jedem dieser Länder Monate, oft ein Jahr oder mehr seiner sorgfältigen, minutiösen Aufmerksamkeit, um schliesslich aus 5000 Negativen, wie er selbst einmal schrieb, die 300 Abbildungen auszuwählen, die zusammen mit einem Text für das jeweilige Land, das gewählte Thema stehen und publiziert werden konnten. «Das romantische Amerika», «England, Baukunst und Landschaft», «Romantik der Kleinstadt», «Der fünfte Kontinent», «Deutsche Arbeit» waren einige der Titel seiner rund 20 Bücher, die er zu Lebzeiten veröffentlicht hat. 

Doch erstaunlicherweise schienen Hoppé weder seine grosse Bekanntheit noch seine zahlreichen Publikationen zu nützen, als es um seinen Eingang in die einschlägigen Fotogeschichten ging, die ab den 1940er Jahren geschrieben und publiziert worden waren. Als habe  das Schicksal persönlich zugeschlagen, verschwand Emil Otto Hoppé für Jahrzehnte von der Bildfläche und wird erst seit rund zehn Jahren Dank den Bemühungen von Graham Howe und Curatorial Assistance schrittweise aufgearbeitet und wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt.

Wie konnte eine so dominante, respektierte, geschätzte Figur einfach verschwinden, von der Geschichte quasi übersehen werden? War seine fotografische Kunst so zeitgebunden, also attraktiv in der Zeit, aber mit wenig Substanz für die Geschichte versehen? War sie gleichsam Salonfotografie einer bestimmten Gesellschaft und deshalb nachfolgenden Generationen schlicht gleichgültig? Oder gibt es ganz andere Gründe für sein Verschwinden? Eine zentrale Erklärung für das Abtauchen findet sich in Hoppés Entscheidung, 1954, im Alter von 74 Jahren allmählich am Ende seiner Karriere angelangt, sein gesamtes Archiv einer Londoner Picture Library zu verkaufen. Die Bibliothek inventarisierte seine Fotografien, wie das meist üblich war, nicht unter dem Namen des Autors, sondern unter den Themen, die seine Fotografien behandeln. Der Name Emil Otto Hoppé wurde durch diese Form der Archivierung und Inventarisierung gleichsam in der Bibliothek begraben. Seine Bilder waren, nach Themen und Orten geordnet, bei Bedarf zwar weiterhin verfügbar, hingegen war die Opulenz, die Dichte, der Umfang, die Qualität und  damit auch die Bedeutung seines Werks durch die Aufsplitterung nicht mehr erkennbar.  

Dieser Umstand ist gravierend, doch kann er alleine der entscheidende Grund gewesen sein? Schliesslich waren von Hoppé rund 20 Bücher im Buchmarkt erschienen, die, wenn nicht mehr in Buchhandlungen erhältlich, so doch in Bibliotheken verfügbar waren. Es muss also wohl weitere Gründe für das Verschwinden seines Namens und seiner Bedeutung gegeben haben. Ein zweiter Grund darf sicher in der mangelnden Übereinstimmung, eine Art von Passungenauigkeit zwischen einer jungen Fotogeschichtsschreibung und der komplexen Übergangsfigur Emil Otto Hoppé gelegen haben. Eine junge, noch unerfahrene Fotogeschichtsschreibung suchte nach klaren Figuren, klaren Haltungen, die sich, wie auch Jahrzehnte und Bewegungen, mit grosser Deutlichkeit voneinander absetzen und einzeln herausheben liessen. Denn es ging doch zuerst darum, ein möglichst einfaches Gerüst der Fotogeschichte zu bauen und eine erkennbare, benennbare Übersicht der wesentlichen Bewegungen  zu gewinnen. Da wollte dieser Emil Otto Hoppé vielleicht einfach nicht so richtig reinpassen, vielmehr musste er mit seiner Vielfalt und seiner Haltung verunsichert haben. Einerseits hatte er durchaus einen modernen Blick auf die Menschen, die Dörfer, die Landschaften, und besonders auf die Industrien geworfen, andererseits aber hatte er lange Zeit für seine Porträts das Studio nicht verlassen, auch wenn er es von allen Staffagen entschlackt, vereinfacht und modernisiert und sich so in seinen Porträts auf den Menschen an sich konzentriert hatte. Zugleich war er es über grosse Strecken gewohnt, seine Bilder in eher piktorialer, das heisst in weicher und toniger Weise zu printen. Seine Schwarzweissbilder zeichnen sich oft durch eine besonders dichte und farbige Tonigkeit aus, seine Porträts (und auch andere Genres) wirken oft weich, fast ein wenig Out-of-Focus. Er selbst schildert das Printen seiner Porträts in seiner Autobiographie «Hundred Thousand Exposures – The Success of a Photographer» von 1945 so: «I use  a soft-focus lens in the enlarger. I begin the exposure with the smallest stop considered advisable. During the exposure the iris diaphragm is slowly opened and closed. The effect is calculated by dividing the estimated exposure by the smallest stop used in the process and closing the iris diaphragm for fractions of the period which are approximatly 1/5, 1/20, 3/4 (…) The final effect is a roundness which I have not found it possible to obtain by another method.» Und schliesslich war er ein gesellschaftlich höchst versierter und erfolgreicher fotografisch tätiger Geschäftsmann. Auch dies passte wenig in das Künstlerbild des 20. Jahrhunderts hinein, das den Künstler und Fotografen bis weit in die zweite Hälfte gerne in einer Mischung aus Armut, Bedürftigkeit und Genialität zur bürgerlich-romantischen Vorstellung eines Bohème hochstilisierte. Wie anders zum Beispiel der Maler Francis Bacon, der später das Studio im Millais House übernommen hatte. Er formte in Person und Werk das herausfordernde Gegenbild zum Sicherheitsgefühl der bürgerlichen Gesellschaft, während E. O. Hoppé mit seinen Porträts ihr Spiegelbild schuf. Wie anders auch die schrecklich düsteren Fotografien von Bill Brandt – ein zweiter Deutscher, der über die Jahrzehnte zum englischen Fotografen geworden ist –, die zum Mahnbild des russigen, schmutzigen Black Country der englischen Industrie wurden. 

In einer Rede, die E. O. Hoppé 1946 vor der Royal Photography Society hielt, spricht er einige dieser Punkte selbst an. Zum Beispiel: «The function of the camera here would be to make a simple, straightforward picture, which probably would not be accepted by any Salon of Photography. No tricks of exposure, angle or printing would have a place.» Oder:  «The search for the most effective angle is the prime task of the photographer, and his success will largely be judged by his success in that search. The harm comes when he does not look for the most effective angle but for the most bizarre and peculiar.» Und: «I see no reason to think a man a better artist because he ignores public taste, despises supply and demand and has dirty finger-nails.» Schliesslich: «Similarly, I cannot agree with the intellectual snobbishness which declares that a man who wears a clean shirt and has a bank account is necessarily, a tradesman and cannot be an artist.» Seine Argumentationslinie scheint einige mögliche Gründe anzusprechen, weshalb sein Werk vis-à-vis eines romantisierenden Künstlerbildes und der Suche nach genau benennbaren, eingrenzbaren Haltungen später eine Zeit lang vergessen ging.

 

Wir haben es heute Graham Howe und Curatorial Assistance in Pasadena, Los Angeles zu verdanken, dass dieses riesige, reiche und vielfältige Werk wieder aufgetaucht ist und nun neu bewertet und geschätzt wird. Seit Mitte der neunziger Jahre, seit das Werk in die Hände von Curatorial Assistance übergegangen ist, wird es Schritt für Schritt aufgearbeitet, werden die Schätze dieses Archivs freigelegt, erkennen wir allmählich die Konturen von Hoppés Vermächtnis. Wir sind besonders stolz, dass wir in der Fotogalerie des MAST zum ersten Mal fast 200 Fotografien von Hoppés Beschäftigung mit dem Thema der Industrie zeigen dürfen. «Unveiling a Secret – Industrial Photographs 1912-1937» führt seine Industriefotografien aus vielen Teilen der Welt zusammen. Wir zeigen Industriefotografien aus Deutschland neben solchen aus England, Amerika, Australien und Indien. Während die Fotografien in Deutschland und England das Resultat von konzentrierten visuellen Recherchen (im Auftrag eines Verlages) sind, entstanden die Industriebilder in den USA, Australien, Indien und anderen Teilen der Welt weit mehr als Teil seiner Reisefotografie, als Teil seines Bestrebens, die jeweiligen Länder «real» zu zeigen, wie er selbst sagt, und nicht nur mit Blick auf historische, architektonische und touristische Highlights. 

Mit dem Buch «Deutsche Arbeit. Bilder vom Wiederaufstieg Deutschlands», das 1930 im Ullstein Verlag erschienen ist (vom Verlag mit einem heute etwas merkwürdig anmutenden «Hohelied der Arbeit», einem euphorischen Text von Bruno Bürgel zum Thema industrielle Arbeit versehen) bewies Hoppé, dass er zu weit mehr fähig war, als die Londoner Gesellschaft, die Künstler oder die Tänzer des Russischen Balletts gekonnt, das heisst zugleich verdichtend und einnehmend, zu porträtieren oder virtuose Länderporträts zu erstellen. Darin und in vielen seiner Industriefotografien zeigt er auf eindrückliche, eindringliche Weise Wasserkraftwerke, Kohlenkraftwerke, Zechen, Kokereien, Turbinen, visualisiert mit Bildern von Eisengiessereien, von Hochöfen, Dampfschmieden, Dampfhämmern die Veredelung von Eisen zu Stahl. Fotografien von Eisenbahnen, vom Schiffsbau, von Häfen und Luftfahrt wiederum erzählen von der Überwindung des Raumes, von der Beschleunigung der Industrie durch den Transport. Schliesslich führt er uns auch in die Montagehallen, dokumentiert wie die einzeln gegossenen Teile zu komplexen Anlagen zusammengefügt werden. Immer wieder zeigt er die Fabrik von aussen, als Gebäude, als Architektur, eingebettet in eine Industrielandschaft. 

Auch Menschen tauchen in diesen Bildern auf, der Giesser, der Schmied, der Arbeiter, der Arbeitslose, aber auch die Bankiers, die Industrien mitfinanzieren, eindringlich, gekonnt porträtiert oder während der Arbeit eingefangen. Doch sie nehmen eine weit weniger zentrale Rolle ein als zuvor in seiner Porträtfotografie. Die Errungenschaften der Industrie einerseits und ihr ästhetischer Wert für das Landschaftsbild, die abstrakte Erscheinung der Kräne vor hellem Himmel andererseits scheinen den reisenden Fotografen, wie damals üblich, lange Zeit stärker zu faszinieren als soziologische, politische und gewerkschaftliche Aspekte des Komplexes «Industrie». Auf seiner Reise nach Osteuropa schrieb er u.a.: «Costumes, manners and customs in the unspoiled country districts, particularly the Ukraine, provided most attractive subjects for my camera, while modern industry and architecture made excellent foils to pictorial landscape work. Indeed, one seemed to be travelling perpetually on the borderlands of the past and the future.» Detroit wiederum beschrieb er als Stadtlandschaft so: «Detroit ‘the dynamic’ with its own river, witnesses daily an endless procession from the argosies of merchandise from the Great Lakes. Like man-made gorges are the long rows of ore-filled barges. In this confederacy of commerce the secret of perpetual motion has surely been found, for on seven days of the week throughout the year, the furnaces never slacken or the tides of workers cease, one battalion succeeding the other in relentless rhythmic regularity. - This mechanism serves mankind, but the generating power of this great hive of industry, in the automobile capital of world the world, lies in the heart of the silent lakes set in the fastnesses of the everlasting hills.»

All die grossen industriellen Umwälzungen und Errungenschaften waren für Hoppé eine Mischung aus Kunst und Wissenschaft, aus menschlicher Errungenschaft und göttlichem Geschenk. Seine Betrachtungsweise, sein Denken und Fotografieren, spiegeln eine tief-existenziell-romantische, manchmal gar spirituelle Vorstellung des Menschen und seiner Errungenschaften im Kontext der gegebenen Natur. Er schrieb: «No man can stand beneath the span of some mighty bridge with its soaring pillars and not feel that inherent something that lifts him above the physical plane, reaching out to immensities veiled from full understanding.» Diese Zeilen lesen sich wie eine Zusammenfassung seiner privaten Philosphie. Sie könnten von einem Futuristen stammen, wäre da nicht das tiefe menschliche, romantische Gefühl. Die Begeisterung für die Erfindung, für die Produktion, für die Zukunft paart sich bei ihm mit einem spirituellen Gefühl für die Natur und den Menschen.

E.O. Hoppé hat ein unverkennbar gutes, oft grossartiges Auge und einen starken Gestaltungssinn in seiner Fotografie, verbunden mit dem Gefühl für das existenzielle Gewicht der Menschen und Dinge, der neuen Industrie für die Gesellschaft. Sein Zugriff ist frisch und direkt, ungekünstelt das Wesentliche suchend, so wie er es von sich selbst und von der Fotografie insgesamt fordert. In jedem seiner Bilder sucht er «sound», ein Begriff, den er oft selbst verwendet, das heisst, er sucht eine Tiefe, ein Klingen, das die Erscheinung eines Menschen, einer Landschaft, einer Fabrik mit dem Wesentlichen, dem Existenziellen, das Äussere mit dem Inneren verbindet. Emil Otto Hoppé ist modern und konservierend, idealistisch und romantisch und pragmatisch zugleich, er ist ein Künstler und ein Geschäftsmann, mit Sinn fürs Praktische, fürs Geld, fürs Bild und für die Existenz der Menschen, für den Lauf der Welt, das Verschmelzen von Bisherigem und Neuem in der Industrie, der Welt insgesamt und in seinen Bildern. Er ist Hugenotte, aber auch Deutscher, Österreicher und Engländer zugleich. Diese unvergleichliche Mischung: das ist, aus meiner Sicht, das Einzigartige an Hoppé, nebst der grossen visuellen Kraft in seinen Fotografien.

Zukünftige Forschung wird das mit Sicherheit noch weit deutlicher herausarbeiten können, denn es geht Hoppé um: « …. the romance of adventure and achievement… the attraction of the power of man’s mind over matter, the attraction of feats of scientific and engineering skill, the attraction of a mighty and smooth-running organization.»

 

Im Zentrum der Ausstellung im MAST stehen die rund 200 Industriefotografien von Emil Otto Hoppé. Wir haben zusätzlich einen Hoppé-Darkroom eingerichtet, einen grossen Projektionsraum, in dem die Vielfalt von Hoppé zur Geltung kommt. Darin zeigen wir seine Porträts, seine Akte, die russischen Ballettänzer, und seine Reisefotografien aus vielen Ländern. 

Wir bedanken uns sehr herzlich bei Graham Howe und seinem Team für die exzellente und grosszügige Zusammenarbeit.

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