2018  /  Magazin L. Fritz

Florian Freier - Das Netz totaler Dokumentation

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Wir müssen den Begriff des Dokumentarischen grundsätzlich überdenken und neu formulieren. Bisher verbanden wir ihn mit Neugierde, mit Entdecken, mit Wissen-Wollen, mit dem Eingliedern von Situationen, Ereignissen, Dingen in das Feld des Kulturellen, des teilbaren Sprach- und Bildfonds, des mitteilbaren Wissens und Fühlens. Wir besetzten den Begriff bisher vornehmlich mit einem positiven Gefühl, von Ausnahmen abgesehen. Das ändert sich gerade fundamental. Die Ausnahme wird die Regel. Die Änderungen sind schnell, flächendeckend, oft schonungslos ausbeuterisch, mit klaren Anzeichen einer Verschiebung der Gewalten auf der Erde. Die Welt wird von zahlreichen Überwachungsnetzen überzogen, eingezont, abgespeichert, analysiert, verwandelt.

Florian Freier weiss darum. Er bewegt sich seit ein paar Jahren wie ein Doppel- oder Trippelagent vor, hinter, unter den (Grenz-)Linien. Er stellt in «Cached Landscapes» (2015) fest, dass sein «eigener» Computer (ein rührender Besitzanspruch) von jedem seiner Schritte auf Google Map ein verstecktes Thumbnail ablegt, dass er beim Erkunden von möglichen Überwachungsstationen also von der eigenen Software ausspioniert wurde. In der Arbeit «In the Eye of God – Recreating Andreas Gursky (Google Earth Remix)” (2009-2015) hingegen wechselt er seine Position. Er wird zum digitalen Guerilla-Kämpfer, der mittels Google Earth die «Autorität» von Gurskys berühmtem Werk «Bahrein I», diesen Tanz des Asphalts in der arabischen Formel-I-Wüste des gleichnamigen Königsreichs, hackt und davon virtuos-virtuell ein Komposit herstellt. In «Profil Page» (2014-2016) wiederum schiebt er reale und virtuelle Profile schmerzlich eng aneinander. Aufnahmen, die er in einem riesigen Studentenwohnheim von immer gleichen «messigen» Wohn-und Schlafräumen gemacht hat, stellte er nahtlos den Profilseiten auf Facebook gegenüber und erlebt, wie nervöser auf die Publikation der virtuellen als der analogen Identität reagiert wird. In verwandter Weise stellt er in «The moving city» (2016/2017) Street-View-Bilder von abgepacktem Bauschutt in Barcelona den Interieurs der mit GPS getrackten Airbnb-Bilder der (möglicherweise) gleichen Wohnungen gegenüber und dokumentiert so auf neue Weise den versteckten Umbau der Stadt.

Florian Freier forscht, hackt, klaut, stellt aus, stellt bloss, er ist Schlitzohr und Profiler in einer Person, und führt uns so das Netz der totalen Dokumentation und ihrer Folgen vor Augen. Zentrale Aufgabe einer neuen Fotografie.