September 2010

Fotospiele – Denkspiele

English Version: Photo Games – Mind Games →

Wir verschalen, verkleiden, drapieren, lackieren, decken gerne ab und zu – die schiefe Wand, das alternde Gesicht, die ausbrechende Bohrstelle, die verbeulte Karosserie. Wir arrangieren unsere Welt gerne so, dass ihre Entstehung, ihr Mechanismus, ihr Operieren nicht mehr sichtbar sind, dass sie wie eine perfekte glänzende Box vor uns hingestellt, betrachtet und bewundert werden kann. Handlungen verschwinden im Resultat, Ausrisse, Mängel und Fehlhandlungen werden kaschiert, Leerstellen wegeditiert – oder es wird, eine alte Schlaumeierei, aus neun von zwölf Kuchenstücken wieder ein perfekter Kreis, ein neues Ganzes arrangiert. Wir mögen das Resultat, den Auftritt, die Aktion, das Event und den Glanz – und retuschieren das Dazwischen, das Abwesende, Matte, den Antiklimax weg, wischen das Unerwünschte in den realen oder virtuellen Papierkorb. So besteht unser Bild der Welt oft aus lauter Bühnenauftritten, aus erfolgreichen Handlungen, aus Präsenz und Glanz, während Leerstellen – das Warten, Nichtgeschehen, die Langeweile – unter den Tisch fallen. In Abwehr des Horror Vacui pumpen wir pausenlos, wie eine Getränkeabfüllanlage im 24-Stunden-Betrieb, Ereignisse, Aufmerksamkeiten in unsere Welt. 

Stefan Burger weiss um diese Performance des Perfekten und Präsenten (gerade auch bei der Fotografie, mit ihrer so homogenen Oberfläche, ihrer brillanten Erscheinung und ihrer massenmedialen Verbreitung) und kratzt hier am Lack, betritt da den Hinterhof, entdeckt dort eine chaotische Konstruktion. Mit Vorliebe entfernt er all die Kaschierungen und lenkt den Blick auf das Dahinterliegende, Halbfertige, Stotternde, auf das Davor und Danach, das Verlassene und Leere. Nicht der blühende Blumenstock interessiert ihn, sondern der leere Blumentrog, nicht die Herbstneuigkeit, sondern der Ausverkauf, nicht der grosse Auftritt, sondern die verlassene Bühne, die erloschenen Scheinwerfer. Sein Interesse gilt den Fassungen, an und in denen sich Konstruktionen zeigen und abspielen, Halte- und Stützvorrichtungen, an denen sich Zustände manifestieren. Er deckt gerne Mechanismen auf: Mechanismen des Wahrnehmens, Produzierens und Betreibens. Sein Erkenntnisinteresse führt ihn zu den «Umständen» der Welt, den Bewegungen hinter der Bühne, den Konstellationen, die sich ergeben. Sein Blick fällt auch auf die Modus Operandi des Kunstmachens, der Bilderherstellung, des Zeigens und Ausstellens von Werken. So wie die Polizei Markierungen am Tatort anbringt, damit sie den Ablauf des unbekannten Unfalles oder Vorfalles Schritt um Schritt rekonstruieren kann, so stellt Stefan Burger «Bojen» auf, markiert damit mögliche Schauplätze, Handlungsstränge, Situationen, um nach Bedingungen zu fragen, nach dem Wieso, wieso schon wieder, und was denn überhaupt In der Regel sind es Bojen, die uns keine, schon gar keine endgültige Wahrheit erfahren lassen, sondern Bojen, die vielmehr neue, nachdoppelnde Fragen stellen, die uns, wie beim Orientierungslauf, immer tiefer in das Dickicht hineinführen. 

Sein bisheriges – junges, vielfältiges – Werk stellt einen Parcours mit vielen Bilderfragen, Bilderfallen, Bilderrätseln auf. Die Produktion der Bilder sowie ihr Gebrauch, ihr Einsatz, ihr Vorzeigen, Vorstellen, Ausstellen werden befragt, werden hintergründig vorgeführt. Das Selbstverständnis im Bildermachen ist angekratzt, gebrochen. Bilder sind nur les- und verstehbar in einer strengen, komplexen Kontextualisierung. Doch die Welt der Bilderproduktion und Bilderkonsumption ist in der Regel kaum bereit, die dafür notwendige Energie und Zeit zu investieren. Bilder flattern durch unsere Städte und Köpfe wie Fasnachts-Luftschlangen, wie abgerissene und verstreute Hakle-für-den-zarten-Po-Blätter. Dekontextua­lisierte Weltschnittchen tanzen sexy und leicht durch den luftigen Raum und wirbeln jedes von Kontinuität geprägte Denken und Handeln auf, um es als «alt und bieder» niedersinken zu lassen. Gegenüber dieser Symphonik der attraktiven Bilder, des endlosen Bilderflusses wirkt Burgers Suche nach den Umständen auf den ersten Blick bildverweigernd. Er scheint mit Bildern Bilder zu verweigern, scheint, fast ikonoklastisch, den Bilddeckel, Bildlack anzuheben, um sich dem Dahinter, dem Müll und Moder zu widmen – doch der Gegenstand der Verweigerung offenbart sich gerade da als interessant, wo er sein Funktionieren preisgibt, wo sein Verlauf, sein Entstehen und Ableben zu beobachten ist. Mit einem «Nebelhorn» ausgerüstet (C-Print, 00x00cm) hornt und tastet er sich durch den dichten Nebel, durch den Schaum, den die Bilder selbst erzeugen, auf der Suche nach einem Stückchen Klarheit in den Klarheit nur vorspiegelnden, glimmernden, schimmernden Bildern und Welten.

Die installative Fotoarbeit «Sediment» begibt sich ebenfalls auf eine solche Suche. Postkarten, Erinnerungsfotos, Familienbilder werden oft an die Wand gepinnt oder, wie hier, in einen Spiegel-, einen Kastenrahmen gesteckt. Da rutschen sie langsam runter, aus dem Rahmen, ins Nachbewusste, in die Leere schwindender Erinnerung, sie setzen, wie Burger selbst sagt, «zur Kompostierung» an. Die Installation wehrt sich fast krampfhaft gegen diese Schwerkraft, treibt den Bildrahmen stützend die Wand hoch bis an die Decke hinauf. Eine eigenwillige Spannung zwischen Versinken und Hochhalten baut sich auf, Stützen versus Fallen, eine invalide Situation, die, vergleichbar dem Kurszerfall des Euro, fast Don Quichottesche Züge trägt. 

Ein gefundenes Objekt, das Stefan Burger sich nach der «Total Liquidation» angeeignet hat – die Hauswandvitrine eines Bijoutiers, die mit verblichener Seide oder Samt ausgelegt und vor der Geschäftsaufgabe mit Fotografien belegt war –, wirkt wie ein Zauberstückchen, wie ein magischer Trick: Das Herausnehmen der Bilder, ihr Verschwinden hinterlassen bleibenden Eindruck. Der unverblichene, farbgesättigte, früher von den Bildern bedeckte Stoff erzählt schlagartig eine andere, lange Geschichte die Lebensgeschichte eines Kleinladens, des Besitzers eines Uhren- und Schmuckladens, der Fotografie als kostengünstiger, ja billiger Repräsentation der realen Objekte. Die abstrakten Rechtecke erzählen keine Details, aber geben den Wochen, Monaten, Jahren, die sich in sie eingeschrieben haben, Form. Erzählen Bilder mehr und tiefer, wenn sie verschwinden? Weisen die bilderstürmerischen Argumente des frühen christlichen Abendlandes und des islamischen Morgenlandes in eine zeitliche Tiefe? Der Unmittelbarkeit des Bildeindrucks im Jetzt wird die Zeitdauer, dem Schnappschuss die Kontinuität entgegen gehalten. Der leuchtorange, über das Schaufenster geklebte Schriftzug «Total Liquidation» läutet nicht nur das Ende des Ladens, sondern das Ende des endlos unbeschwerten Bildermachens ein. 

Das Thema der «leeren» Bilder findet sich wieder in der «tonnenschweren Nullaussage» (Burger) einer wandgrossen Fototapete, auf der eine blinde Verkehrstafel, aufwendig in einen Felsblock montiert, von Burger mit vertrockneten Tomatenpflanzen garniert und zum lustvollen Bild eines Informations-GAUs gemacht wird. Oder im am Meer gefundenen, zu einem Dickicht, zu einer ballettartigen Installation von kreisrunden oder quadratischen Schildern, die sich gegenseitig leere Anweisungen, blinde Vorschriften zu erteilen scheinen.

Das Thema «einen Eindruck hinterlassen» findet sich in einigen weiteren Arbeiten. Im Spannteppich, in den sich eineinhalb Jahre lang die Geschichte des Empfangs im Fotohof Salzburg eingeschrieben hat. Eindrücke im Spannteppich als letztes anschauliches Bild für die vergehende analoge Fotografie, in die sich Lichtstrahlen wie Fussstapfen konkret einschreiben? «1,5 Jahre Nadelfilz im Fotohof» wird zu einem Stück Fotogeschichte, die Burger, bisher erfolglos, verschiedenen Fotoinstitutionen angeboten hat. Eindrücke hinterlassen auch die Hintern des Galeristen und seines Assistenten beim Gebrauch von Sitzkissen auf Stühlen, bevor sie als «Brutvorrichtung für Kleingruppen im Kunstsystem» verkauft werden. Einen tiefreichenden Eindruck hinterlässt das Schlafmittel Dormicum bei Stefan Burger selbst, als dem Protagonisten seines Video «4’33’’ (Dormicum I.V.)», in dem er John Cages stilles Stück bei überfallartiger Müdigkeit zu spielen versucht. 

Die Abwesenheit von Bildern, das Zweifeln an Bildern wird konterkariert in Arbeiten, in denen das Bild als Katalysator fungiert, als grosser Frage- und Fallensteller auftreten darf. Diese Bilder Burgers performen, sie erhalten Form, werden installiert, in den Raum gesetzt und lösen selbst wieder Bewegungen, Performances aus. Aus der Legende, dass sich hinter einer Mauer des Wawel, des einstigen Sitzes der polnischen Könige in Krakau, eine der sieben Chakren, der spirituellen Energiespender, befindet und sich Menschen deshalb endlos an der Wand vor dem vermeintlichen siebten Chakra reiben, wird bei Burger eine grosse, raumversperrende Installation, an der sich die Besucher erst vorbeizwängen müssen, um das Wandbild zu sehen, das mit fotografierten Gegenständen «einige Vorschläge [macht], wie man sich vor einer Wand verhalten soll, und eine Empfehlung, wie man sich vor einer Wand nicht verhalten soll.» Die kontrollierte Sprengung des Agfa-Geschäftsitzes in München wird zu einer bewegten Rauminstallation, die das Ende der analogen Fotografie mit lebendigen Licht- und Schattenspielen einläutet und ihr gleichzeitig augenzwinkernd eine Umschulung anbietet. In «Analoges Monument», so der Titel der Arbeit, wird das symbolische Ableben der analogen Fotografie zur Installation, während die Installation «Anweisung zu einer erweiterten Bildnutzung (von hinten mit Schwung über ein Bild stürzen)», die eine monochrome Plakatwand in einer Schneelandschaft vor einem Netzzaun zeigt (die von hinten über eine Holzleiter be- und überstiegen werden kann), zum Bild wird. Zum durch den Titel ironisierten Einsatz des Begriffs «Bildnutzung» als Bild – Bildnutzung hier nicht als vervielfältigender Gebrauch des Bildes, sondern als Hürdenlauf, als Besteigungsziel, als Reiten des Bildes. Das Bild «Entstaubung» wiederum visualisiert die mittels Schlägen mit einem Besen vollzogene Entstaubung eines Fabrikorientteppichs im Hinterhof und spielt dabei keck auf die Entstaubung von Bildern an. In «Falle für einen Fuchs oder einen Fotografen» dient die Installation (eine auf einem nächtlichen Trottoir gebaute Koje mit herunterhängender Wurst) quasi als Bildauslöser. In der Hoffnung, den Stadtfuchs beim Fressen der Wurst fotografisch zu erwischen, setzte sich der Fotograf eine Nacht lang vergebens hinter dem Schaufenster einer ehemaligen Metzgerei auf die Pirsch. 


Bild wird Wand wird Bild, Bild wird Text wird Bild wird Installation: Bild, Text (Legende) und Installation vermischen sich bei Stefan Burger, bis mit Absicht nicht mehr klar ist, wer wen stützt, wer welchen Kontext anstimmt oder auflöst. Stefan Burger pflegt einen fröhlichen Ikonoklasmus, er spielt mit den Möglichkeiten des Bildes, mit den Fallen, die sich in Produktion, Montage und Vorzeigen oder in der Rezeption, im Vieleck zwischen Betrachter, Bild, Bildmotiv, Bildträger und Legende manifestieren. Seine Fotospiele (in Anlehnung an Wittgensteins Denkspiele) sind raumgreifende, handlungsauslösende, auch den Kunstkontext als erweiterten Raum mitreflektierende visuelle Denkspiele mit unvorhersehbarem, heiterem, manchmal abgründigem Ausgang. «Double Focus», diese zweifach verführende Tulpenzüchtung, die die Bienen in die Irre führt, mit dem dazugehörigen Eckstück eines Blumentroges, das sich um die Hausecke schmiegen kann: dieser zweiteilige Pokal gebührt zweifelsohne dem Künstler selbst, dem ironischen, lustvollen nietzscheanischen «Hinterweltler» der Bild- und Bedeutungsreflexion!

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