2002

Hans Peter Feldmann - Einführung zur Ausstellung
[Fotomuseum Winterthur]

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Meine Damen und Herren,

So wie das Werk von Hans-Peter Feldmann als ein Ziel versucht, Verfestigungen von Bedeutungen, von Meinungen zu verhindern, ja vielmehr alles in Fluss zu setzen – unsere Voraussetzungen, unsere Vorurteile, unsere festen Unterscheidungen -, so verhindert die Installation seiner Ausstellung, dass wir uns alle auf dem gleichen Marktplatz zusammenfinden. Bleiben Sie also für einmal stehen, wo sie sind, oder wandeln Sie weiter durch die Räume wie bisher. Mit der Bitte dabei 10 Minuten lang zu schweigen. Wir haben den Ton so eingerichtet, dass er viele Ecken im Museum erreicht, vielleicht gar Uschi’s Bedroom.

Ich begrüsse Sie sehr herzlich zur Eröffnung der „Kunstausstellung“ von Hans-Peter Feldmann. Ich begrüsse besonders herzlich Hans-Peter Feldmann und seine Frau Ursula Mückenheim, die Kuratorin der Ausstellung Helena Tatay und Nuria Enguita Mayo, die Direktorin der Fundacio Tapies in Barcelona. Ich bedanke mich bei den Sponsoren dieser Ausstellung, bei der Stanley Thomas Johnson Stiftung, bei der Ringier AG, und der Ifa, dem Institut für Auslandsbeziehungen, Stuttgart. Und Balthasar und Josua Disch, dem Alphornduo Mörsburg, gebührt ein Applaus.

Hans-Peter Feldmann schrieb einmal folgende Zeilen:

Eine Wiese, wirklich grün, dichtes Gras, kein Unkraut, keine Blumen, saftige Wiese. Nicht sehr gross, vielleicht 20x20 Meter. Und drum herum ein Holzzaun. Die klassische Ausführung, senkrechte Holzlatten, oben angespitzt vielleicht 1,50 Meter hoch. Waagrechte Latten halten alles zusammen, an den Ecken jeweils ein Pfosten. Jenseits des Zaunes die gleiche Wiese, aber schon etwas weniger ideal. Hier und da ein Baum, ein Weg, dicke Steine, Häuser in der Ferne und so weiter, die Welt eben.

Und die Wiese innerhalb des Zaunes nennt man Kunst, und alles ausserhalb des Zaunes nennt man Welt. Und dann fällt plötzlich der Zaun um. Plötzlich ist das auch keine Kunst mehr, - oder die Kunst ist überall. Und Du hast dann auf einmal kein Problem mehr.

Diese Geschichte veranschaulicht Hans-Peter Feldmanns Haltung im künstlerischen Schaffen. Das seit den späten sechziger Jahren entstandene Werk von Hans-Peter Feldmann (geboren ist er 1941 in Düsseldorf) offenbart einen ganz persönlichen Blick auf die „Welt“. Seine intensive und kritische Auseinander­setzung mit der Welt der Bilder hat seine Wurzeln in seiner Kindheit im Nachkriegs-Deutschland, geprägt von einer lebendigen Erinnerung und Faszination für die damals nur beschränkt öffentlich zugäng­lichen Bilder der 50er Jahre – mehrheitlich Bilder aus der amerikanischen Kultur. Diese zeichneten sich vor allem dadurch aus, dass sie die virulenten Probleme Deutschlands verdrängten, dafür aber Themen und Lebensgefühle einer heilen Welt thematisierten. In Feldmanns frühem Werk offenbart sich die Desillusionierung seiner Generation, die mit diesen falschen Klischees aufwuchs, die nichts aussagten und nur ein Vakuum hinterliessen.

Sein Werk gliedert sich in zwei Schaffensphasen: von 1968-1980 und von 1989 bis heute, mit dem Unterbruch einer 9-jährigen Abstinenz. Das fotografische Bild ist dabei sein zentrales Medium. Kennzeichnend für sein Schaffen ist die Umgehung konventio­neller und traditioneller Inhalte und der experimentelle Charakter seiner Vorgehensweise sowie der bescheidene, anti-künst­lerische Charakter und die formale Neutralität der Materialien: Schnappschuss-Fotografien, Postkarten, Spielsachen, Familienbilder, Filmstills und Medienbilder. Seine frühesten Arbeiten sind kleine gebundene Bücher, worin bereits die für sein gesamtes Werk bestimmende Obsession für die Auseinander­setzung mit der Bildwelt angelegt ist. Sein Interesse gilt nicht in erster Linie dem Einzelbild, sondern der erzähle­rischen Dimension, die sich bei einer Bilderreihe eröffnet oder der Sammlung, durch die sich Bedeutungen zeigen.

In den später folgenden Arbeiten interessiert er sich vermehrt für den Kontext und die daraus entstehenden Frage­stellungen um die Mechanismen des Kunstmarktes, der öffentlichen Kunst, der Werbung und der Me­dien.

Diese grosse Retrospektive des deutschen "Anti-Fotokünstlers" zeigt die zentrale europäische Figur, die seit den siebziger Jahren mit buchhalterischer Sorgfalt, schelmischem Blick und ironischen, verwinkelten Gedankengängen mittels Serien, Sequenzen von Banalfotografien unsere Bildkultur, unser Fixierungen, unsere Vorurteile, unsere Befangenheit unterläuft. Wenn er sich der  unterschiedlichsten Medien und Materialien bedient – eben Amateur-Fotos, Postkarten, Poster, Kartenspiele, Zeitschriften, selbstgemachte Fotos, aber auch Hanteln, wie hier im Raum, oder Kartonschachteln, Fahrräder, gebrauchte Schuhe – so führt er Banales, Alltägliches in den Kunstraum. Scheinbar Klares führt durch den Wechsel in den Kunstraum zur Verunsicherung, zum Stolperstein, zur Frage – wie die einfache Benennung einer Kunstausstellung als das, was sie ist, als „Kunstausstellung“ uns fragend die Stirne runzeln lässt. Und gegenläufig werden Kunstobjekte als Konsumartikel dargestellt, indem er sich serienmässiger Nachbildungen bedient, um sie so von der Last des Einmaligen zu befreien.

Auf den ersten Blick berührt uns Feldmanns Kunst durch ihre Bescheidenheit. Seine Arbeit überzeugt durch die Einfachheit seiner Vorgehensweise. Helena Tatay formulierte, er stelle keine Kunst her, sondern er finde sie und mache sie sichtbar.

Dabei verfolgt er verschiedene inhaltliche Ziele, drei davon möchte ich hier benennen:

Er ist ganz eindeutig ein Zaunniederreisser, der sich gegen Kategorisierungen, gegen Grenzen, Denkkäfige, gegen die strenge Unterscheidung von High and Low wehrt und versucht, die Zeichen in den Fotos, die Gegenstände als Zeichen in Schwung zu setzen, damit unser Denken sich befreit, damit unser Denken beweglich wird. Sein Ziel ist es, alles in Fluss zu setzen. Die Ausstellung hier ist ein sichtbarer Beleg dafür.

Dann interessiert ihn sehr, was zwischen den Dingen der Welt und uns geschieht, was sich da für ein Raum von Bedeutungen auftut. Fotografien sind für ihn weniger Repräsentation von Wirklichkeit als Projektionen von uns auf die Welt, hat er einmal gesagt. Die Fotografien zeigen die Träume und Wünsche auf, die wir auf Bilder und Gegenstände übertragen, flössen ihnen Bedeutung ein.

Und schliesslich ist Hans-Peter Feldmann ein wenig unser Stellvertreter. Er lebt das Kind aus, das in uns verborgen ist, er zeigt das Herz, das wir unter dem Anzug verstecken, er äussert Gefühle, die wir mit dem Make-up zurechtrücken. Er ist einer der heute raren Künstler, die es wagen, sich den Träumen, Gefühlen, Sehnsüchten anzunehmen. Sonst ist dieses Feld ja ganz der Werbung übergeben worden. Er gibt mit seinen Werken dem Herz neben dem Geist, dem Verstand seinen angestammten Platz zurück. Wir können uns beim Gang durch seine „Kunstausstellung“ ausführlich intellektuell über die Natur des Kunstgegestandes und der Bedeutung seiner Anordnung im Museum unterhalten, doch ich empfehle Ihnen, auch über ihre eigenen Gefühle beim Bild eines Sonnuntergangs nachzudenken, oder diesem Gefühl einfach nachzuhängen, es sich ausbreiten, ihren Körper durchdringen lassen. -

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen bildsamen- und gefühlsamen Abend. Ich schliesse mit einem grossen persönlichen Dank an den Künstler, an Hans-Peter Feldmann - Vielen Dank.