2005

In einer sinnlosen Welt
Die Polaroids von Robert Frank

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Zwei Fotografien sind zueinander gestellt, nahtlos aneinander geschoben. Das linke Bild führt den Blick durch ein Fenster hinaus in einen Hinterhof, den Hinterhof an der Bleecker Street 7. Ein grauer, enger, verschlossen wirkender Hof im Winter. Schneereste am Boden hellen die scheinbare Ausweglosigkeit des Gevierts auf, korrespondieren mit dem kargen laublosen Baum, der sich wie eine dünne, sich verzweigende Ader nach oben zieht, Richtung Aufhellung, Richtung Licht. Der typische Querbalken amerikanischer Fenster kreuzt sich in unserem Blick mit dem hoch strebenden Baum. An der Oberkante schließt das Bild mit Entwicklungsfehlern ab, deren Flächenverlauf ähnlich wie Draperien oder wie Reste einer eingeschlagenen Fensterscheibe wirken. Das rechte Bild führt den Blick auf eine alte, spröde und brüchig gewordene Palästinakarte, die ausgerollt auf faltigen Laken liegt. Starkes Gegenlicht spiegelt und »brennt« so Teile der Karte weg, blendet das Kartografische aus, während es gleichzeitig jede Unebenheit, jeden Riss des Trägers zum Relief auftürmt, als verlebendige es die Karte. Ein auffallendes Paradox, das zwei Realitäten, das Leben des Trägers versus das Leben des kartografischen Bildes, gegeneinander ausspielt.

Der winterlich lichtlose, leblose Hof seines New Yorker Wohnsitzes steht also neben dem Bild einer runzligen, reliefartigen, blendenden und geblendeten Palästinakarte. Helle Partien des einen Bildes treffen in Hard-edge-Manier auf dunkle, schwarze Partien des anderen. Spuren von Schnee, von Weiß hier korrespondieren mit Lichtern auf der Karte dort. Auf einer der Innenhoffassaden ist in großen schwarzen Lettern »Lefty Wolf Man. Millie« aufgetragen.

Wie oft bei Robert Frank, so gibt es auch dieses Diptychon in verschiedenen Versionen. Die eine Version schließt ein von Hand gezogener Tintenstrich unten zusammen, über dem handschriftlich, in grüner Tinte »They will travel with you« steht und rechts die Signatur »Robert Frank«, verbunden mit zwei Daten, dem Geburtstag von Robert Frank, »Sunday November 1924«, und dem Herstellungsdatum »Mabou 1998«. Die zweite bekannte Version wirkt unverbundener, loser aneinander gepasst: »at 7 Bleecker Street 1996« steht links und »in Mabou 1995« rechts geschrieben, dafür sitzt dazwischen, in der Mitte, das Wort »Roots« für Wurzeln oder Herkunft. In beiden Versionen aber treffen reale Geografie und modellhafte, imaginäre Geografie aufeinander. Der Geist des gelebten Ortes, die Bleecker Street in New York, trifft auf den Geist imaginierter, erinnerter Herkunft, aufgenommen in Mabou, dem zweiten realen Wohnort von Robert Frank. Alle drei »Orte« sind ebenso real und, wie sie, zu verschiedenen Genii loci aufgeladen. »They will travel with you« – sie werden mit Dir reisen, heißt es. Die Rede ist wohl von diesen drei »Seelen«, die mit »Dir«, dem angesprochenen Du, reisen, und das Du scheint hier der Autor des Werkes selbst zu sein. Also eine Art Selbstanrede mit Voraussage oder Vorahnung: Geistige Herkunft verbindet sich mit real Gelebtem zum Gepäck für die Zukunft, für die Reise ins Unbekannte, scheint das Werk andeuten zu wollen. Robert Frank äußerte sich im Gespräch mit Ute Eskildsen zum Altern: »Nun, in meinem Alter, die Pillen stützen den Alten, so kann er noch spazieren und fotografieren, vor allem hat er Zeit zum Nachdenken. Dies wird dann ganz sorgfältig und langsam ein Andenken.«(1)

In reduzierter, minimaler Form enthält dieses Diptychon alle Elemente, mit denen Robert Frank arbeitet, seit er vom Filmen zeitweise zur Fotografie zurückgekehrt ist. Es handelt sich um die Montage von zwei Polaroidnegativen, die zusammen auf ein Silbergelatine-Papier abgezogen wurden. 1998 hat Robert Frank die beiden Bilder zueinander gestellt und aus den beiden Fotografien das Werk geschaffen. Handschrift, manchmal Schreibmaschinenschrift, setzt Worte in das Bild oder unter das Bild, ergänzt die Bildinformation, widerspricht ihr, verwandelt sie, vergegenwärtigt sie. Der Spalt zwischen zwei zusammengefügten Fotografien, an dem sich die Bildinformationen wie Erdplatten aufwerfen, die Bildbedeutungen sich entzünden, an dem die Bilder zu »laufen« beginnen, wird oft durch eine oder mehrere unterlegte, eingefügte oder darüber gespannte Textzeilen »überschrieben«, rekontextualisiert. Nicht deckend, nicht bedeutungseinengend, sondern eher »lasierend«, sodass die verschiedenen Bild- und Textebenen ein durchscheinendes, manchmal mehrschichtiges Gewebe formen, das hier sich aufbläht und dort sich zusammenzieht, und so eine Art offenen Frankschen Bildorganismus kreiert, mit dem die Betrachter in einen visuellen Dialog treten.

Im beschriebenen Beispiel stoßen zwei Fotografien horizontal aneinander, so wie sie in Los Angeles, February 4, I wake up, turn on TV (1979) oder in Sick of goodby’s senkrecht aufeinanderstoßen. In Fear – No Fear, Mabou, Nova Scotia (1987) stehen drei Bilder übereinander, drei Fotografien mit Sicht durch ein offenes Fenster an einer Schreibmaschine vorbei in die Landschaft hinaus – Gräser, dann Wasser und schließlich Horizont –, mit verwischtem, vom Winde verwehtem weißem leerem Blatt, das erst im dritten Bild soweit an Ruhe und Schärfe gewinnt, dass seine Klarheit als ein mit Bestimmtheit, mit Überzeugung eingespanntes Blatt zu lesen ist. Hier beginnt ein visuelles Spiel von Papierhorizont zu Meereshorizont, von Innen zu Außen. Andere Werke entstehen durch das Aneinanderreihen von vielen, zum Teil zugeschnittenen Fotografien zu panoramatischen Bildstreifen oder zu Tableaus, das heißt zu quer- oder hochformatigen Bilderblöcken, wie etwa in St. Ritas Hospital # 401, Sidney, Nova Scotia, 20. Januar 1991, oder zu patchworkartigen, aber geometrisch angeordneten vielteiligen Bildfeldern, die das diachronische Prinzip des Filmstreifens in das synchrone Auslegen auf einem Blatt verwandeln.

In jedem dieser Werke ist genau zu beobachten, wie die Fotografien aufeinander treffen, wo sie geschnitten sind, was für eine Abfolge und in welcher Art und Weise sie sich entwickelt. In jedem Fall aber wehrt sich Robert Frank, seit er filmt, gegen das unberührte fotografische Einzelbild. So sehr sich in seinen frühen Büchern – in Peru, Black White and Things oder The Americans zum Beispiel – narrative Bedeutungslinien durch die Abfolge von Bildern ziehen und das Filmische immer schon anzukündigen scheinen, so sehr sind sie noch Einzelbilder und vollziehen das Bewegte, Unruhige, Schnelle – ein Charakteristikum vieler seiner Bilder – innerhalb des vorgegebenen Gevierts eines 24 x 36 mm großen Filmnegativrahmens. Mit der Serie »From the Bus«, New York 1958, und mit den Polaroids, die er in den 1970er Jahren begann, fängt Robert Frank an, das Einzelbild zu sprengen, fügt ein Bild ans andere, stellt noch eines oben drauf, hängt ein viertes an. Die »Bus«-Bilder setzen die Fotografien (und den Standpunkt des Fotografen und der Betrachter) in Bewegung und führen hin zum Film; der Film und seine Montagetechniken führen wiederum zu den Anordnungen, den Gruppen, Blöcken, Reihen, Türmen von Silbergelatine-Abzügen nach Polaroids oder von herkömmlichen Negativen. Das Einzelbild mit seinem auratischen Anspruch, Beschreibung, Statement, Wahrheit in einem zu sein, wird abgelöst durch komplexe Gebilde von Bildern und Texten, die Bedeutung nicht fassen und einschließen wollen, sondern Bedeutungsfelder aufklappen und mit Fragen an sich und die Welt das Zwiegespräch zwischen Werk und Betrachter eröffnen. Robert Frank dekonstruiert in seinen Montagen die Geschlossenheit und Illusionskraft des fotografischen Bildes, er öffnet verschiedene Ebenen, die aufeinander einwirken: aufeinander eingehen oder aufeinander einstürzen. Die Chronologie, die zeitliche oder kausale Abfolge, ist dabei kaum je seine Methode, vielmehr operiert er inhaltlich und bildlich gerne mit Brüchen, mit Überlagerungen, besonders mit Gegensätzen, mit sich ausschließenden dualen Gegensatzpaaren oder sich bedingenden Polaritäten: wie Schwarz und Weiß, Dunkel und Hell, Bild und Wort, Begrenzung und Auflösung, »Hope and Despair«, Innen und Außen, Ich und Du, »Fear« und »No Fear«. Fast so, wie sich sein biografisches Leben der vergangenen dreißig Jahre im Wechsel zwischen der auf Hochtouren laufenden Energiemaschine New York und dem einsamen, entrückten, langsamen Naturplatz Mabou, Nova Scotia, in Kanada abspielte: Hold Still – Keep Going. Halte ein, sei unterwegs.

Fragmentarisch sich formende, sich bedingende Gegensätze, die durch Zeichen weiterer Lebensbedingungen, Bildbedeutungen überlagert werden: Mit diesen Mitteln entzaubert er jede Fotoillusion. So wie er in den Filmen als Filmemacher selber auftaucht, dadurch das Filmen jederzeit mitthematisiert und die Perspektive aufs Geschehen zur Diskussion stellt, bricht er durch die Montagen die Guckkastentranszendenz der Fotografie und erarbeitet sich so seine neue Fotografie, ein neues Werkzeug, ein neues Vokabular. Robert Frank, der Anti-Illusionist, wandelt sich mit der Zeit vom Fotografen, der er war, zum Künstler, der Fotografie verwendet – Fotografie als poetisches Mittel, als expressives Mittel, weg von ihrer vermeintlichen Referenzwahrheit hin zu einer Bildwahrheit, zur Realität der Fiktion (von »Leben«, »Welt«, »Wahrheit«). Die frühere äußere Reise, die zu vielen Fotos der Welt geführt hat, wandelt sich zu einer späteren Reise in den Bildern, dabei fügt sich der dokumentarische Aspekt der Fotografien als ein Baustein unter anderen, auch fiktiven, in die Architektur seiner Poesie.

Auf dieser »Bildreise« spielt Sprache eine zentrale Rolle. »Holy« steht in typografisch sorgfältig gesetzten Buchstaben im enigmatischen Doppelbild mit einem sich zeitgerafft nähernden Rind geschrieben. »Sigrid« steht als groß gesetzter, plakativer Name über das Porträt von June geschrieben. Andere Sätze hingegen wirken wie hingepinselt, wie hingeschleudert oder eingekratzt, so expressiv, als seien sie mit Blut geschrieben: »Sick of goodby’s«, » 4 am make love to me«, »Look out for hope«, »Keep busy«, »Blind, love, faith« oder »Fate, defeat, hope, soup, shoes, shelter, strength«. Ausführlicher sind Texte, die als eine Art Schild in die Bildkomposition eingefügt werden: »Silence – the sky turns dark – No one lives here anymore / I want to escape« steht unter der Überschrift »The Past« in Robert Franks Handschrift eingesetzt. Wie er im Übergang von der Fotografie zum Film schreibt: »A photograph is fiction and as it is moving it becomes reality«(2), so setzt er Sprache ein, um die Fotografie aus ihrer Vergangenheit zu holen. Fotografie ist immer zeitlich, immer vergangen, ist Vorgegenwart, während Worte Gegenwart haben, als einzelne Worte sogar Absolutes, Unverrückbares, von Raum und Zeit Unantastbares setzen können. Robert Frank baut mit Bildern und Sprache einen Spannungsbogen auf, erzeugt ein Magnetfeld, das Vergangenheit und Gegenwart, Innen- und Außensicht, Visuelles und Sprachliches zusammenbindet. Die Worte benennen, erzählen, behaupten, rufen, fragen, die Bilder sind ihr Echo, die Vergangenheit der Zukunft, sind ihr visuelles Feld. Dokumentarisches und Fiktives wechseln sich ab, geben sich die Hand, tauschen sich aus, in einem permanenten Fluss der Bilder und der Existenz. Sinnbildlich dafür stehen die verschiedenen Werkversionen mit der Wäscheleine, die sich durch die Landschaft und das Bild zieht und an der mit hölzernen Wäscheklammern Fotos und ein Schild oder Tuch mit dem in weißen Buchstaben geschriebenen »Words« befestigt sind. Die Version Mabou(1997) gibt ausschnitthaft nur noch die »Words«-Tafeln wieder, in zwei Bildern, die einmal das Wort »words« vollständig und einmal zu »Wo« verkürzt wiedergeben: Wo denn, Worte? Wo liegt ihr, wo euer Sinn? Sprache und Bild funktionieren als Vehikel ständigen, insistierenden, intensiven Befragens: von sich selbst, der Fotografie, der Sprache, und der eigenen Lebenswirklichkeit, des Schicksals, der Erinnerung, der Gegenwart und Zukunft.

Home Improvements von 1985, dieses große fünfteilige Videostill zeigt zuerst Pablo, dann ein Bild der New Yorker Subway, mit zwei Bildstreifen voller Zeichen – »Symptoms« steht da neben unleserlichen Sprayereien zu lesen, darunter »it was dark« (es war dunkel) –, gefolgt von June, einem Schneebild aus Mabou und einem Selbstporträt von Robert Frank mit Videokamera und herausstehenden Haaren. Unter den fünf Stills läuft ein Schriftband, das wie ein Filmskript die einzelnen »Szenen« benennt: Pablo als »Pablo Frank«, die Subway als »New York Subway«, June als »June Leaf«, das Schneebild als »Nova Scotia, Canada« und Robert Frank als »Robert Frank«. Vorn angestellt und hinten angefügt jeweils »Home improvements«. Hier scheint die Sprache nicht öffnen, sondern bekräftigen zu wollen. Das ist das. Das andere ist das andere. Ich bin der. Soweit ist es klar. Ein quasi existenzielles Festmachen- und Festhaltenwollen der ersten, einfachen, aber auch zentralen Bausteine des eigenen Lebensgefüges. In einer Zeit, einer Situation, die vielleicht sonst zu entgleiten scheint. Kaum je ist eine Arbeit von Robert Frank so hoch autobiografisch, so direkt und schonungslos offen wie in Home Improvements, das mit Ausbesserungen, Hausrenovationen zu übersetzen ist und dadurch neben der existenziellen eine leicht ironische Note erhält. Es wird fast nichts gezeigt – drei Porträts, die Wand einer Subway und eine knappe, karge Schneelandschaft –, und doch knistert die Sequenz wie eine Hochspannungsleitung über einer leeren Landschaft und verwebt die äußere Geografie zwischen New York und Nova Scotia mit seiner Familienkonstellation. Der Fotograf Robert Frank dokumentierte mit präzis-beiläufiger Subjektivität die Welt draußen, voller Indizien ihrer innerlichen Befindlichkeit; der Künstler Robert Frank thematisiert seit seinen Filmen (und seit tragischen biografischen Einschnitten) an Bildern und Wörtern des eigenen, persönlichen Lebens allgemeine Fragen des Lebens und Überlebens, des Hoffens, Liebens, Fürchtens und Verzweifelns.

Diese zwei- und dreiteiligen oder mehrteiligen Text-Bilder wirken wie freigelegte Nervenstränge, wie offene Stromkabel, wie die Wicklung eines Motors von Leben, von Existenz. Robert Frank entwirft seit den 1960er Jahren in hoher autobiografischer Nähe mit Fotografie und Texten kleine Lebenssituationen, manchmal ununterscheidbar zwischen Ich und Künstler-Ich, die von Komik bis zur Tragik, von Hoffnung zu Verzweiflung, von Liebe zu Verlust pendeln. In einer Heftigkeit und Direktheit, die dem Betrachter bisweilen den Atem nehmen, in einer Unruhe – mit angerissenen Fotos, dunklem, auslaufendem Polaroid-Rand und kritzelnder, hektischer Schrift –, die den Pulsschlag der Aufregung spüren lässt, in einer Tragik manchmal, die alles in ihren düsteren, schwarzen Schlund zu schlucken scheint. Dazwischen heitere, poetische, luftige Augenblicke, die wie kleine Luftballons steigen und platzen, die wie später Frühling die Härte des Winters ablösen, die die Lust am Leben visualisieren. Das Werk dieses Robert Frank keucht vor Verzweiflung, stößt sich immer wieder an der Sinnlosigkeit der Welt, kämpft mit ihrer Absurdität, sucht Sinn, verliert Menschen, kämpft gegen Resignation, verlangt aus der Nacht nach Licht, Glück, Liebe, unbändig, schonungslos, dürstend, leidend: »Canada is winter«, »Moments of glory and regret«, »The suffering, the silence of Pablo«, »End of dream«, »Blind, love, faith«, »Look out for hope« – alles Worte, die in oder unter seinen Fotografien stehen, sie begleiten, wie ein Murmeln, wie eine Beschwörung, wie ein Schrei, diese sich immer stärker fragmentierenden fotografischen Weltfetzen, die das Innen mit dem Außen, das Außen mit dem Innen konfrontieren. Ein ständiges Reiben, ein immerwährendes Angehen, Formulieren, Suchen, Hoffen in der chaotischen Sinnlosigkeit seiner, dieser, unserer Welt.

Der Mensch ist in eine sinnlose Welt geworfen, und aus dieser Sinnlosigkeit gibt es kein Entrinnen. Das ist unsere existenzielle Absurdität, wie Albert Camus sie formuliert hat. Der Mensch ist sich dieser Situation bewusst, doch kann er nicht anders, als sich nach Sinn sehnen, als weiter zu drängen, vorwärts zu schreiten, zu handeln, zu suchen, zu versuchen und in der Liebe die Absurdität temporär aufzuheben. Robert Frank hat Albert Camus immer wieder, neben Samuel Beckett, als Referenz angeführt – in seinen Polaroids und verwandten Arbeiten seit den 1970er Jahren entwirft er selbst eine ungeheuerlich existenzialistische Bilderwelt, die Entwurf und Spur, Vision und gelebtes Leid zugleich ist und die ein komplexes, konzeptuelles Bildbewusstsein mit tiefem Erleben, Erfahren, Erdauern verbindet, bis die Talsohle durchschritten ist, bis erste zaghafte Schritte immer wieder einen äußeren und inneren Frühling ankündigen: »I will do something, isn’t it wonderful just to be alive.«(3) In einer Zeit, in der das Ich ans Image verliehen, der Körper zur Technomaschine, der Künstler zum Brioni-Träger wird und der Autor die Kraft seines Subjekts in gleichgültige Systeme einfließen lässt, stapft der Künstlerautor Robert Frank im Winter wie ein Obdachloser durch die Schneelandschaft, schreit im Sommer voller Sehnsucht seine Wünsche in den Himmel, immer unterwegs, endlos, reisend, auf der Suche nach Wahrheit, vorrangig vor der Kunst, denn, so schreibt er: »I want to make something that has more of the truth and not so much of art.«(4)

 

 

 

Anmerkungen

1 Robert Frank, in: Hold Still, Keep Going, hg. von Ute Eskildsen, Ausst.-Kat. Museum Folkwang, Berlin u. a. 2000, S. 111.

2 »Eine Fotografie ist Fiktion, sobald sie sich aber in Bewegung setzt, wird sie real.«

Robert Frank. Moving Out, hg. von Philip Brookman und Sarah Greenough, Ausst.-Kat, National Gallery of Art, Berlin u. a. 1994, S. 218.

3 Textzeile aus der Arbeit Mabou, 1971.

3 Ebd.

4 Brookman und Greenough 1994 (wie Anm. 2), S. 142.