6 May – 8 August 2001

Karl Blossfeldt - Formen der Natur

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Meine Damen und Herren

 

Ich begrüsse Sie herzlich zur grossen Sommerausstellung, die mit Karl Blossfeldt eine bekannte, ja berühmte Figur vorstellt, deren Werk aber erstaunliche Wege gegangen ist. Ich begrüsse auch Angela Lammert und bedanke mich bei Ihr und der Akademie der Künste in Berlin für die hervorragende Zusammenarbeit. Ebenfalls bedanke ich mich gleich zu Beginn bei der Dr. Carlo Fleischmann Stiftung, der Alfred Richterich Stiftung, der Adler Apotheke und Sulzer AG für die Unterstützung und dem gesamten Museumsteam für die intensive und präzise Vorbereitung.

 

Blossfeldt boomt. Seine Arbeit wird für neuere Kunstkonzeptionen vereinnahmt, seine Fotos werden gewinnbringend vermarktet, zum Beispiel als dekorativer Hintergrund für Weleda-Werbung oder im jüngst eröffneten Hotel Dorint am Berliner Gendarmenmarkt, mit Schleierkraut-Tapeten an den Wänden und einer Ausgabe der „Urformen der Kunst“ in jedem Zimmer - fast schon wie die Bibel. Der schweigende Forscher, wie in Walter Benjamin genannt hat, der zergrübelte Bauer mit dem unverhohlenen Hauch des Intellektuellen, wie ihn Gerd Mattenklott charakterisiert hat, der 1865 geboren und 1932 gestorben ist, scheint lebendiger zu sein denn je. Seine Fotografien von Pflanzen können uns mit ihrer Rätselhaftigkeit offenbar immer wieder für sich einzunehmen.

Seit den siebziger Jahren wird sein Werk im Zuge einer Renaissance der Neuen Sachlichkeit - einer neuerlichen Konzentration auf die Dinge selbst, auf ihr von Humanismus und Existenzialismus befreites Sein - als Inbegriff der Neuen Sachlichkeit der zwanziger Jahre hochgehalten – ich denke da an die Becher-Schule, die Sachlichkeit von Bernd und Hilla Becher.

Blossfeldt boomt, aber nicht erst heute. Er erlebte wohl etwas vom Ungewöhnlichsten, als nach der Veröffentlichung seines ersten Buches, der „Urformen der Kunst“, das Interesse an ihm und an seinem Werk schlagartig anschwoll und ein eher stiller Forscher, der an der eigenen Lehranstalt, dem Königlichen Berliner Kunstgwerbemuseum, als Aussenseiter, zuweilen als auch als Rückständiger galt, ans Licht der Öffentlichkeit gerückt wurde.

Von da an teilte sich die Rezeption und Diskussion seines Werkes in drei Teile: Die Neusachlichen eben schätzten an seinen Pflanzenfotografien das reine Sein des Dinges - das „Istige“, wie Mattenklott sagt - das scheinbar ohne grosse Inszenierung, direkt ins Bild gesetzt wird und so quasi zu einem unverfälschten Beweisstück, zu einer Art Urkunde wird. Die Surrealisten, allen voran George Bataille, verwendeten seine Bilder in ihren Publikationen, weil sie die Verschlungenheit der Formen schätzten, weil sie die Pflanzen, ihre heilige und ihre sumpfige Natürlichkeit als erotische, ja sexuelle Gegenkraft zur technischen Logik ansahen.

Schliesslich wurde von dritter Seite jeweils stark das Didaktische dieser Fotografien betont, eine Betonung, welche die Fotografien als Kunstwerke in Frage stellten. Blossfeldt hat ja seine Fotografien immer als Lehrmittel verstanden, um in seinem Lehrfach „Modellieren nach der lebendigen Natur“, möglichst gute, genaue und anregende Unterrichtsvorlagen zu haben.

Ich betone hier so stark die verschiedenen Sichtweisen auf Blossfeldts Werk, weil hinter diesen Vereinnahmungen seine Arbeit selbst gleichsam zu verschwinden droht. Ein Umstand, der u. a. darin gründet, dass Blossfeldt sich selbst kaum je geäussert hat und dass nach seinem Tod 1932 seine selbstgemachten Prints verschwunden und erst mehr als 50 Jahre später, 1984 wieder aufgetaucht sind. Heute befinden sich Vintage-Prints in der Sammlung Ann und Jürgen Wilde, in der Sammlung der deutschen Fotothek Dresden und Halle/Moritzburg und eben in Berlin, in der HDK, der Hochschule der Künste, aus deren grösstem Fundus von rund 650 Vintageprints diese Ausstellung zusammengestellt werden konnte. Vielleicht gründet aber die vielfältige Rezeption auch in einem Werk, das auf den ersten Blick sehr streng und scheinbar fast ein wenig eindimensional wirkt, das sich aber mit der Zeit als äusserst vielseitig, als tonreich, als fotografischer Kosmos entpuppt.

Karl Blossfeldt machte eine Lehre als Modelleur in einem Eisenhüttenwerk und der angeschlossenen Kunstgiesserei, bevor er sich an der Unterrichtsanstalt des Königlichen Kunstgewerbemuseums in Berlin weiterbildete und zum Bildhauer ausbilden liess. Sein Lehrer und Mentor war Professor Moritz Meurer, mit dem er auch nach Rom, Griechenland und Nordafrika reiste, um eine „Lehrmittelsammlung zum Studium der Naturformen“ aufzubauen. Meurer war es auch, der ihn mehrfach lobte und ihn dem Kunstgewerbemuseum empfahl. Ab 1899 ist Blossfeldt dort Dozent und 1921 wird er zum ordentlichen Professor im Fach „Modellieren nach der lebendigen Natur“ ernannt.

Schauen wir nun die Einzelbilder, die Reihe und Blöcke hier genauer an, tauchen wir in aller Ruhe in sie ein, dann entwickelt sich Schritt um Schritt ein reiches Universum. Sie sehen kaum einen grellweissen Flecken, auch kaum ein tiefes Schwarz, die Tonalität der Fotos bewegt sich in den unterschiedlichsten Grautönen, lässt eine weiche, sanfte Atmosphäre, ja fast eine greifbare Stofflichkeit entstehen. Keine Spitzlichter, keine Schattenwürfe, der Schatten scheint mit dem Objekt zusammenzufallen. Man gewinnt den Eindruck, als versuche Blossfeldt die biologische Stofflichkeit der Pflanzen mit jener der fotografischen Chemie zu vereinen. Er zeigt Details von Pfanzen, Blüten, Blätter, Stengel, in naher Sicht, manchmal 4-5mal, manchmal auch bis zu 40mal vergrössert, die gleiche Pflanze in unterschiedlichsten Ansichten, von oben, der Seite, von unten, in hellerem, dann dunklerem Licht. Die einen Fotografien betonen stärker die Struktur, die Architektur der Pflanze - wir spüren Statik und Konstruktionen von Natur -, die anderen mehr den linearen, zeichnerischen Verlauf, die dritten die Flächigkeit der Anordnung, eine Art von All Over, vor allem für sein zweites Buch „Wundergarten der Natur“, die vierten schliesslich spielen mit dem Kippeffekt, damit, dass die fotografierten Pflanzen starke Analogiekräfte entwickeln, dass wir in ihnen Türme, Schlangen, schmiedeiserne Formen oder trauernde Wesen entdecken, dass wir Gestaltähnlichkeiten feststellen. Einige Pflanzenbilder, die bisher unbekannt waren, betonen das Sexuelle in der Natur, lassen leicht an Penisse und Vulvas denken. Und immer wieder fotografiert Blossfeldt die gleichen Pflanzen, immer wieder ganz leicht anders.

Dieses Vorgehen mit seiner selbstgebauten Plattenkamera – welche zu Legenden wie der folgenden führte: „Selbstgebaute Kamera 9x12cm, Aplanat 1:36, F = 50cm, offene Blende, ohne Filter, Satrap-Braunschicht-Platte; belichtet zwischen 8 und 12 Minuten im Atelier, gedämpftes Tageslicht“ -, diese Weichheit der Abzüge, die verschieden tonigen Papiere, die verschwommenen Kanten, das matte Licht, das leise Spiel von Schärfe und Unschärfe, das die Fotos manchmal wie Zeichnungen, manchmal wie Samt erscheinen lässt, entfernt Blossfeldt recht heftig von der ihm zugeschriebenen Kategorie der Neuen Sachlichkeit und rückt ihn von der Haltung viel eher zum Gedankengut eines Schellings, der die von der Natur entfremdete menschliche Seele wieder mit der Natur versöhnen will, oder Ernst Haeckels, des Naturphilosophen, der die prinzipielle Einheit von organischer und anorganischer Natur postuliert. Ein Gedankengut, das in der Zeit der Industrialisierung nochmals verstärkt die Natur zum Vorbild nimmt, das ihre Struktur, ihre Konstruktion als Massstab versteht, das Natur und Kunst, vielleicht auch Natur und Gesellschaft versöhnen will, das vor allem das Artifizielle der Natur und das Vegetabile der Kunst in Einklang bringen will. Einzig die Entwurzelung der Pflanzen bringt eine neue Art von Sachlichkeit ins Spiel. Es ist ein Naturalismus mit Skalpell, mit dem störende Bildelemente auch mal weggeschnitten oder wegretouschiert werden, es ist ein Naturalismus, der in der Natur die idealen künstlerischen Formen sucht.

Blossfeldt schrieb im Vorwort seines zweiten Buches „Wundergarten der Natur“: „Die Pflanze ist als ein durchaus künstlerisch-architektonischer Aufbau zu bewerten. Neben einem ornamental-rhythmisch schaffenden Urtrieb, der überall in der Natur waltet, baut die Pflanze nur Nutz- und Zweckformen. Sie war gezwungen, in stetem Daseinskampfe widerstandsfähige, lebensnotwendige und zweckdienliche Organe zu schaffen. Sie baut nach denselben statischen Gesetzen, die auch jeder Baumeister beachten muss. Aber die Pflanze verfällt nie in nur nüchterne Sachlichkeitsgestaltung; sie formt und bildet nach Logik und Zweckmässigkeit und zwingt mit Urgewalt alles zu höchst künstlerischer Form.“

Mit diesen raren Worten Blossfeldts übergebe ich Sie der Natur als bester Lehrmeisterin und der fotografierten Natur als ihrer tonreichen, zauberhaften Spiegelmeisterin.

Vielen Dank.