Dezember 2013  /  Du 842

Manchmal dauert es sehr lange …

<p>Peter Hujar: <em>Divina</em>, 1975</p>

Peter Hujar: Divina, 1975

Seit Jahrzehnten ist er ein Outsider, ein Bekannter-Unbekannter, ein gut gehütetes Geheimnis: Der Ukraino-New Yorker Peter Hujar, 1987 an Aids verstorben, war schon zu Lebzeiten ein Aussenstehender. Einer dieser Künstler oder Fotografen, die ihre Idee verfolgen, auch wenn sie schräg oder konträr zu den Denkbewegungen der Zeit steht, einer, der wohl nicht anders konnte, als ein Leben in der Randzone zu führen, auch wenn das bisweilen schmerzte. Die Rezeption solcher Werke verzögert sich in der Regel, weil man ihre Qualität eine Weile lang nicht erkennt oder weil niemand Mut und Lust hat, sich lautstark gegen den Strom zu stellen, auch das Werk selbst nicht, das ruhig, aber auch stolz und verletzlich darauf wartet, erkannt und respektiert zu sein. So ist Peter Hujar bis heute ein Geheimnisumwobener geblieben, obwohl er mitten in der New Yorker Szene gelebt und viele der heute berühmten Künstler und Künstlerinnen persönlich gekannt und porträtiert hat, auch viele, die vor, mit oder nach ihm an AIDS gestorben sind. 

Dass er eine Kultfigur war, blieb nur ein schwacher Trost für einen Geist, der zwischen Selbstüberzeugung und Selbstzweifeln schwankte und mit dem gewählten oder ihm zugefallenen Schicksal haderte. Die erste öffentliche Anerkennung erfuhr er in Europa. Eine 1981 von Jean-Christophe Ammann, dem damaligen Leiter der Kunsthalle Basel, zusammengestellte Auswahl von rund 50 Fotografien machte Besucher in Basel und im Frankfurter Kunstverein mit seinem Werk bekannt. Das Fotomuseum Winterthur zeigte ihn 1994 zusammen mit dem Stedelijk Museum in Amsterdam. Im Scalo Verlag erschien dazu eine umfassende Monographie. Erst in letzter Zeit ziehen auch seine Preise an. Der jüngste Galeriewechsel von Matthew Marks zu PaceMacGill in New York dürfte dem Werk einen Sammlerschub geben. 1994 waren die meisten seiner Prints noch für 2‘000 Dollar zu haben, seit diesem Jahr sind sie das Zehnfache wert. Ein gutes Indiz, dass ein Werk im Markt, in der Szene lebt und wahrgenommen wird.

Doch wichtiger als der posthume Preis der Werke, ist die sinnliche Erfahrung mit ihnen. Peter Hujar realisierte seine Fotografien mehrheitlich in den siebziger und frühen achtziger Jahren, in jener Zeit also, als die Kunst die angestammten Materialien, Räume, Grössen und Grenzen verliess, um ein Instrument der Wahrnehmungs- und Erkenntnisforschung zu werden. Die Fotografie ihrerseits verliess, im Sog einer breiten Medienreflexion, das Einzelbild und versuchte in Serien und Sequenzen das eigene Medium und die Wahrnehmung damit zu erforschen, mit weitwinklig verzerrter Sicht und damals erstmals auf RC-Papier, also auf Plastikpapier vergrössert. Die strenge Form sollte gesprengt und Inhalte freigelegt werden, entsprechend der neuen Sicht auf die Welt als System, als Struktur. 

Angesichts dieser Entwicklung müssen Hujars Fotografien wie Klassiker gewirkt haben. Das in sich ruhende, manchmal streng wirkende quadratische Format, die Konzentration auf ein Ding, ein Wesen - ein Mensch, ein Kopf, ein Tier, eine Stadtlandschaft -, der einfache, klare, strenge Bildaufbau, häufig im kargen Studio mit einem Stuhl als Requisite realisiert, wirkten wie ein scharfer Kontrapunkt zur Strömung der Zeit. Nicht der Augenblick, sondern die Dauer ist ihm wichtig gewesen, nicht die Dynamik, sondern das Insich-Beisich-Da-Sein, nicht die Erfindung einer neuen Form, sondern die Suche nach dem Direkten, Einfachen, Wesentlichen. Die Realität gefiltert, gereinigt, entspannt und von vordergründigen Bedeutungen abstrahiert, das Bild sorgfältigst und eigenhändig auf gute Barytpapiere vergrössert – und meist erst beim Verkauf signiert.

Peter Hujar interessierte sich immer nur für das Eine, das Eine vor ihm Stehende, Liegende, Sitzende, Wachsende, Springende: der Mann, die Frau, das Pferd, die Kuh, der Schuh, das Wasser. Mit einer fast ungeheuerlichen, aber keineswegs dramatisierten Konzentration auf dieses eine Sujet, wollte er Wesentliches herausschälen, nicht im Sinne von Persönlichem, Privatem, sondern als Anteile des zeitgenössischen Daseins: Anteile der Leere, der Zeit, des Wandels, der Präsenz. Ja, der Präsenz. Es ist ungewöhnlich direkt, intensiv, ja irritierend, wie uns seine Tiere anschauen. Selbst ein liegender, von uns leicht abgewandter Mann hat eine fraglose Stellung im Bildgeviert. Bruce de Saint Croix wirkt ruhig und bei sich, während er vor der Kamera seinen Schwanz erregt und betrachtet. 

Peter Hujar porträtierte die Welt. Mittels Konzentration versuchte er die Präsenz des Lebens, das Provozierende des Todes, das existenzielle Geworfen- und Verlorensein mit seinen Bildern zu fassen. Porträts von Menschen, von Tieren, der Stadt, Porträts der Sexualität, der Travestie, und das Porträt des Todes: ein langsam und erstaunlich gelassen vorgetragener Canto, ein visueller Lebensgesang. 

Sein Werk gilt es noch immer zu entdecken und zu stützen. Den umfassenden Gehalt erfährt man am besten in einem der Bücher über ihn, die ungewöhnliche Stärke und Übereinstimmung von Idee, Aufnahme und Print vor den Originalen. Doch selbst in den Bildern, die im Internet zu finden sind, wird man die Ausstrahlung spüren.