Mai 2017  /  Werk, Bauen + Wohnen

Modell und Bild
Eine friedliche Ehe gerät in Bewegung

Fotografie und Architektur, das ist wie Bruder und Schwester, wie Huhn und Ei. Sie sind eng miteinander, ja ineinander verschlungen, voneinander abhängig gar, obwohl sie gänzlich fremde «Wesen», artfremde Instrumente sind. Körper und Bild, Bild und Materie, 2-D und 3-D. Zu Beginn der Fotografie ist die Architektur gar das Hauptmotiv des neuen Mediums. Sie steht ruhig da, bewegt sich nicht, zuckt nicht mit den Augenlidern, einzig wechselnde Lichtstimmung verändern sie, ziehen ihr stufenweise ein neues Lichtkleid über. Bis heute bleibt die Architektur ein bevorzugtes, hoch respektiertes Motiv für die Fotografie. So stark respektiert, als stünden wir vor einem Monument, einem Grabmal, einer Gottheit. Entsprechend darf nichts den Blick auf die Architektur stören, entsprechend wird mit allergrösster Sorgfalt der Standpunkt gewählt, von dem aus das Gebäude, die Häuserzeile, die Brücke, das Stadtviertel  oder die Innenräume in den Fokus genommen werden. Die Wegstrecke vom Standpunkt der Kamera zum Objekt ist besenrein, die Boden- und Luftrechte für den Zeitpunkt der Aufnahme scheinen alleine der Kamera, dem Fotografen zuerkannt zu sein. Noch 1980 grummelte der Kunstkritiker und Artforum Mitbegründer Max Kozloff in einem Text über die amerikanische Fotografie mit der kritischen Titelfrage: «Where Have All the People Gone?» Amerikanische Stadtfotografie, hält er darin fest, ist menschenleer, wie leergefegt. Während es den ersten Fotografen aus technischen Gründen nicht möglich war, sich bewegende Menschen im Stadtbild festzuhalten, scheint die Fotografie insgesamt über die fast 200 Jahre Fotogeschichte eine grosse Ehrfurcht vor Architektur entwickelt zu haben, die ihren Blick, ihre Hände, ihre Apparaturen, ihre Beweglichkeit nahezu erstarren liess. Die Monstranz dürfen nur geheiligte Hände, gereinigte Blicke berühren.

Also wohl weniger Bruder und Schwester als vielmehr Mutter und Kind? Weniger Gleichberechtigung als Abhängigkeit, als Dienstbarkeit? Viele Architekten, versuchen sehr stark, das Bild ihrer Gebäude mitzubestimmen. Der klassische Architekturfotograf ist ihr freundliches Werkzeug, das ihren Anweisungen zu folgen hat, der in der Stunde Null – sobald das Gebäude fertiggestellt, gereinigt und bereitgestellt ist – fotografiert, bevor das Gebäude in Besitz genommen und verwandelt wird. In dieser kurzen Zeitspanne stellt sich das Gebäude genau so dar, wie die Architekten es sich vorgestellt, wie sie es gedacht haben, als luzide Struktur oder mächtige Ikone. Ein Augenblick der Entrückung, bevor die Architektur in «Gebrauch» genommen wird, bevor sie, wie es Roland Barthes in seinen «Mythen des Alltags» zum Thema der Hose formuliert hat, durch den Gebrauch erst zur eigentlichen Architektur, zum funktionierenden Gebäude wird. 

Fast alle Architekturfotografie – wenn sie nicht offen oder versteckt Sozialfotografie ist – zeigt die Architektur in Perfektion, in der Form einer leerlaufenden Konkretion, vor dem Gebrauch, ohne Menschen, ohne Nutzung, als die möglichst reine visuelle Realisierung einer bestimmten, persönlichen,  idealisierten Vorstellung. Die Kontrolle ist wohl deshalb stark, weil die Architekten wissen, dass Bilder eine eigene Sprache sprechen, dass sie andere Diskurse anregen als die körperliche Erfahrung von Architektur, dass sie ahnen, wie sie Volumen in Fläche verwandeln, Materie zu Form und Zeichen destillieren, dass Fotografie derart das Bild der Architektur formt, akzentuiert, also vergrössern, verkleinern, verformen, das heisst erhöhen oder erniedrigen kann. Schauen wir, wie oft in der Fotografie der 1920er und 1930er Jahre langsam an einem Fabrikkamin empor, dann wird er immer länger und länger, spitzt sich zu, wird eine kraftvolle, aber zugleich filigrane, fast fliegende Pfeilspitze, die vom Streben nach Höherem spricht, von Innovation, Errungenschaft, von erfolgreichem Unternehmertum. Schauen Presse- und Peoplefotografen von einer erhöhten Tribüne aus auf den roten Teppich, dann staucht das Objektiv alles Filigrane, Schlanke, Zarte in sich zusammen und verleiht selbst den hart durchtrainierten, perfekt gestylten Filmschönheiten oft ein ungewollt kompaktes Fundament. Die «Mutter» weiss zudem, dass die «Tochter» sie überleben wird. Heute wird nicht mehr für die Ewigkeit gebaut, kommerzielle Zwänge verhindern dies, also steigen die Chancen, dass das Bild den Körper, die Fotografie die Architektur überleben wird. Die meisten berühmten Gebäude der Welt kreisen sowieso zuerst einige tausend Mal als Bild um die Erde, bevor wir sie wirklich real sehen. 

Architektur und Fotografie: das ist – bei allen Qualitäten, die man in diesem Bereich vorfindet – kaum das Feld von grossen Experimenten, von aufregendem Ringen zwischen Objektrealem und Bildwirkung, von (dialektischen) Kämpfen, von Feindschaften, von heimtückischen «Morden» gar. Die Ausgangslage, oft eine klare Auftragssituation, verhindert das in grosser Mehrzahl. Es gibt Fotografen, die kompakt, ikonisch arbeiten, andere sind zurückhaltender, feiner, leichter, fragiler in ihrem bildnerischen Ansatz, aber all diese Auftragsfotografien sind zuletzt immer zu Diensten, sie erfüllen möglichst genau und gut eine vorgegebene, eine erwartete Sichtweise. Falls sie das nicht erfüllen, wird kein nächster Auftrag fällig. Bei Erfolg hingegen entstehen vielleicht sogar langjährige Partnerschaften, wie es sie in der Geschichte der Architektur und Fotografie mit XXXXXXXXXXX ein paarmal gesehen hat. 

Die Modefotografie war in einer ähnlichen Situation. Auch wenn die Fotografie im Laufe der Zeit als eine Kunstform akzeptiert wurde, so galt dies lange nicht für die Modefotografie. Die Bilder wurden als unverfrorene Ware betrachtet, als Werbemittel einer schnelllebigen Industrie, die weit von dem visuellen Raffinement und der kritischen Würdigung der künstlerischen Fotografie entfernt sind. Trotz einer grossen Zahl herausragender Fotografen, die für Modemagazine oder Modehäuser gearbeitet haben, scheint diese ablehnende Haltung immer noch weit verbreitet zu sein. Ein Grund dafür liegt sicherlich in den materiellen Ursprüngen der Modefotografie. Ein Modefoto entsteht meistens als Auftragsarbeit und wird am kommerziellen Erfolg des dargestellten Produktes gemessen. Damit ist das Bild weniger Teil einer ästhetischen Erfahrung als vielmehr Teil des Warenaustauschs. Anfang der neunziger Jahre jedoch brach ein Damm. Die Modefotografie floh vor dem Ersticken am eigenen Akademismus und öffnete das Feld für junge Fotografen, für Strassenfotografen, für Fotkünstler, für Künstler, die mit Fotografie arbeiten, mit dem Ziel, das erstarrrt, festgefahrene Bild der Mode zu erneuern. Namen, Beispiele…………..

Im gleichen Zeitraum begann sich auch die Architekturfotografie zu öffnen. Zur Biennale in Venedig 1991 gab zum Beispiel das Bundesamt für Kultur ein ungewöhnliches Buch heraus: Architektur von Herzog & de Meuron – fotografiert von Margherita Krischanitz, Balthasar Burkhard, Hannah Villiger und Thomas Ruff. Vorallem die Fotografien von Hannah Villiger brachen markant mit dem klassischen Bild der Architekturfotografie. Sie arbeitete mit Polaroid SX-70 und betonte die bekannte Falschfarbigkeit des Materials mit ausgeprägt blaugefärbten, unscharfen,  verschwommenen Bildern. Parallel dazu begann Hans Danuser die Architekturen von Peter Zumthor mit seiner ihm eigenen Eindringlichkeit zu fotografieren, die Kappelle Sogn Benedetg in Sumvitg zum Beispiel, die sich in seinen Fotos gegen dichten Nebel, gegen die Kräfte der Berge behaupten muss. Am international bekanntesten sind  Struth, Ruff und Gursky, die mit ungewöhnlichen Architekturbildern aufwarten. Thomas Struth mit seinen anfänglich schwarzweissen konzentrierten Fotografien von deutschen Strassenzügen, seinen Farbbildern von La Defense in Paris oder von asiatischen Städten, .Thomas Ruff in seiner Zusammenarbeit mit Herzog und de Meuron, vor allem seinem aufsehenerregende «Bild am Bau»- Projekt an der Bibliothek der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde, die zum Bildträger für Fotografien von Ruff wurde, die ihre Haut gänzlich seiner Bildwelt überliessen. Andreas Gursky schliesslich mit seinem Montparnasse-Projekt vor allem, aber auch mit Aufnahmen von Innenräumen in asiatischen Hotels, seinen Decken- und Bödenfotografien. 

Seither scheint der Bann etwas gebrochen zu sein. Klassische Architekturfotografie gibt es weiterhin, in grosser Mehrheit, manchmal in hervorragender Qualität, aber es nehmen Projekte zu, in denen sich Künstler mit Architekturen beschäftigen. Luisa Lambri zum Beispiel scheint Volumen spielend in Flächen zu verwandeln, schwere Materie in leichtes Bildsein. Sie scheint die Schwerkraft von Gebäuden aufheben und in luftige leichte flächtige Tonwerte verwandeln zu können. 

Im Jahr 2000 schlug der mexikanische Präsidentschaftskandidat Vicente Fox Quesada einen beispiellosen Plan vor, zwei Millionen Haus mit niedrigem Einkommen im ganzen Land während seiner sechsjährigen Amtszeit zu bauen. Am Vorabend seiner Wahl verkündete Fox: "Meine Präsidentschaft wird als die Ära der öffentlichen Wohnhäuser in Erinnerung bleiben."  Dann, fast über verbreitet übers ganze Land, auch in abgelegenen Territorien. Während der sechsjährigen Präsidentschaft von Fox wurden 2‘350‘000 Häuser gebaut, mit einer Rate von 2‘500 Häusern pro Tag. Luisa Corona hat dieses Projekt während vier Jahren mit Bildern, Filmen und Interviews verfolgt, um den «Raum zwischen Versprechen und Erfüllung» auszuloten, wie sie sagt. Und parallel dazu hat sie das Sale House von Johnston Marklee in Venice, Kalifornien, als stilisierte Edelrentner-, Home- und Eifersuchtsstory inszeniert.

Filip Dujardin scheint der ideale visuelle Sparingpartner von De Vylder Vinck Taillieu zu sein. Im Verlauf der Parallelarbeit begann Dujardin dreidimensionale architektonische Denkspiele in Ausstellungsräumen einzurichten oder in seinen Bildern verrückte fiktive Architekturen zu formulieren, und zwar in dem er zwei modi operandi einsetzt, wie Jesus Vasallo bemerkt: «one that departs from a fragment of reality to then accelerate it through an act of feverish imagination and replication that takes it beyond the threshold of anonymity, and ont that over-imposes an a priori image or reference, producing a cover version of a master piece of art or architecture.» Der Schweizer Philipp Schärer verwandelt in «Bildbauten» seine eigene Erfahrung als Visualisierungsspezialist bei Herzoig & de Meuron in die kühle, fast abstrakte Fiktionalisierung von Architekturen. 

Walead Beshty schliesslich, der rising Star der kalifornischen Kunstszene, realisierte eine frischfreche Fotocomicserie mit Gebäuden von Johnston Marklee, in der er Gebäude und Gebäudeteile mit Textfeldern, die im gleichen Design wie die Fenster oder Torbögen oder im heftigen Kontrast dazu gleichsam die Architekturen zu kommentieren oder die Architekturen zu Comixfiguren verwandeln scheinen.  Der Witz der Sache besteht hier darin, dass die ausgesparten Textfelder allesamt weiss, das heisst stumm sind, obwohl sie höchst bedeutsam, beredt und aufgeregt chattend in die Fotografien eingesetzt sind. 

Auf dem Kronplatz im Südtirol wollte die Seilbahngesellschaft die alte Seilbahnstation auf dem Berg oben in ein Fotomuseum verwandeln. Das hätte die Möglichkeit geboten, den Anlegebereich der Seilbahn zu verglasen und vor allem nachts in einen riesigen Screen zu verwandeln, der über dem Tal glüht und strahlt und Bildgeschichten erzählt. Eine Architektur wäre dann für das Bild gebaut worden, wie die visuellen Diaramen, Circaramen an der Expo 64 ind Lausanne und Expo 02 in der Romandie. Das Verhältnis Architektur und Fotografie, Fotografie und Architektur (und Film und Video und Renderings) darf sich noch weiter entspannen und gegenseitig hochstemmen…

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