Februar 2012  /  Du 823

Paris Photo 2011 – Palm Springs 1960

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<p>Robert Doisneau: <em>Palm Springs</em> (USA, 1960)</p>

Robert Doisneau: Palm Springs (USA, 1960)

Paris Photo ist umgezogen. Die grosse Fotomesse wechselte vom Carrousel du Louvre ins Grand Palais.  Aus der stickigen, grabähnlichen Gruft im Soussol des Louvre zum luftigen Auftritt in der Kathedrale der Weltausstellungen. Statt wie bisher Klaustrophobie nun helle, lichtdurchfluchtete Räume, die zum Lustwandeln und Smalltalken geradezu einladen. Dieser Wechsel kommt einer Adelung gleich. Jahrzehntelang war Fotografie weltweit im Untergeschoss platziert: dort die Treppe runter, links zur Toilette, rechts zur Fotogalerie. Wie im Art Institute of Chicago so galt diese Wegweisung in vielen Museen. In den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren wurde die Fotografie schrittweise nach oben und in den Vordergrund gerückt. Markant nun der Sprung in Paris. Jetzt wird diese Messe dem Anspruch, ein paar Tage lang ein weltweites Kommunikations­zentrum für Fotografie zu sein, wirklich gerecht. Endlich hat man Lust, hier Kontakte zu knüpfen, Leute zu treffen, Business talks zu führen.  Ab sofort macht es Sinn, extra dafür hinzureisen. Die Qualität der einzelnen Stände hat diesen Quantensprung noch nicht nachvollzogen, doch immerhin sind mit Fraenkel, Pace/MacGill, Marion Goodman, Paul Andriesse, Analix forever, Teresa Luisotti, Thomas Zander und Rose Gallery wichtige Galerien zum ersten Mal präsent. Ob die Verkäufe mit dem neuen Aufritt gestiegen sind, darüber schweigen die Auguren. «Paris was just great for us», lautet die professionelle Galeristenantwort, die Spielraum für Sieg und Niederlage lässt. 35% mehr Besucher an der Messe meint ja nicht automatisch 35%  mehr Verkäufe.  Doch schon am Tag vor der Eröffnung bestätigt der Markt einmal mehr den Aufstieg: Andreas Gurskys Fotografie «Rhein II» von 1999  (im gleichen Jahr in der grossen Andreas-Gursky-Ausstellung im Fotomuseum Winterthur vorgestellt) erzielt an der Christie’s Auktion in New York den neuen Rekordpreis von knapp 4,4 Millionen Dollar für die höchstbezahlte Fotografie.

Meine Entdeckung an der Messe waren aber nicht die neuen Gurskys, Shermans, Sugimotos – dafür eigenen sich die Parallelmessen «Off-Print» und «Nofound-Photofair» besser –, sondern ein paar seltsame Farbprints an den Wänden der Galerie Tanit aus München. Farbfotografien mit diesem leichten Stich – etwas zu blässlich und dennoch leicht überdreht in den Farben –, diesem Retro-Chic der sechziger Jahre. Ein weisser Amischlitten, ein Thunderbird, Plymoth oder Mercury, auf einer lang gezogenen Kurve mitten durch die Wüste, die Strasse vom Wüstensand schon wieder halb zugedeckt. Oder ein hochfloriges Interieur mit orangenem Puff und graumeliertem Königspudel im Zentrum – ein Graus für jeden, der gerne barfuss geht. Bei Nachfrage verstand ich den Namen nicht: «Duano. Wie bitte?» –  «Robert Doisneau!» – «Sie scherzen», war ich versucht zu replizieren. Doch da hatte man mir schon ein Buch in die Hand gedrückt.

Wir alle kennen Robert Doisneau. Selbst wenn der Name auf der Zunge hängen bleibt. «Schiller oder Goethe», geht das alte Ratespiel bei deutschen Redewendungen. Doisneau oder Doisneau, heisst es noch sicherer bei sich küssenden Paaren in den Strassen von Paris, in edlem Schwarzweiss aufgenommen. Sein wohl berühmtestes Foto nahm er 1950 auf: Ein sich vor dem Pariser Rathaus küssendes Paar. «Baiser de l'Hôtel de Ville» entstand im Auftrag von «Life» und krönt seither das Image des humanistischen Strassenfotografen. Der Sprung über die Regenpfütze, entspanntes Schaufenster-Shopping, buntes Strassentheater, die Ruhe am Seine-Ufer, eine Prostituierte im Bistro, eine Katze auf den Dächern von Paris: Was immer Robert Doisneau aufnahm, immer entstanden Bilder, die das Leben in Paris in vollen Zügen zeigten, treffsichere Schnappschüsse in Schwarzweiss mit einem deutlichen Hang zu  charmanter, positiver Lebensfreude ohne Einsicht in die Hintergründe gesellschaftlicher Realitäten.

Von diesem Doisneau nun sollen die Bilder sein? Aber sie wirken ja vielmehr wie eine Mischung aus William Eggleston und Larry Sultan, sind farbig, in dieser Sechziger-Jahre-Farbigkeit, und 1960 in Palm Springs aufgenommen. Mit sanft-spitzem Blick ausgestattet beschreiben sie ironisch das sich entwickelnde Palm Springs, ein Edelaltersheim für reiche Amerikaner und Stars der Unterhaltungsin­dustrie in der Wüste, 180 km vor Los Angeles. Auf Auftrag von «Fortune Magazine» reiste Doisneau für 3 Wochen an, wurde herzlich aufgenommen, fühlte sich aber offensichtlich nicht wohl. Im Gegensatz zu seinem Leben in Paris war «Robert de Paris» hier total fremd. Er fotografierte Palm Springs als künstliches Resort in jeder Hinsicht, als ein Stück künstlich bewässerten Rasen, der Wüste mit viel Aufwand abgerungen, auf dem mehrheitlich reiche und mehrheitlich ältere Amerikaner ihren Ruhesitz installiert haben, dabei täglich Golf spielen, Cocktail Parties feiern, gediegen, formell-entspannt dinnieren und konversieren. Palm Springs zählte 1960 die damals schon unglaubliche Zahl von neunzehn 18-Loch-Golfplätzen, um heutzutage mit sagenhaften, ja irrsinnigen 125 Golfplätzen aufzutrumpfen. Eine Stadt als eine Art bewohnter Golfplatz mit garantierten 354 Sonnentagen pro Jahr.

Die Bilder lassen jegliche Lebensfreude vermissen. Doisneau scheint sie sich richtiggehend abgerungen zu haben, bevor er weiter nach New York flog. Aber gerade die Distanz, die er hier vielleicht zum allerersten Mal erfährt und versinnbildlicht, lassen Bilder von ätzender Kraft entsteht. Grosse Nähe und Liebe, wie in seinen Paris-Bildern, scheint vor Kitsch nicht gefeit, erst die Distanz zum Motiv scheint Abgründe zu öffnen, scheint zweite und dritte Ebenen zugänglich zu machen. Eine höchst positive Überraschung aus der Geschichte der Fotografie.