Januar 1993

Peter Hujar - Presserede

Peter Hujar war in vielem ein Aussenseiter. Einer jener Künstler oder Fotografen, die ihre Idee verfolgen, auch wenn sie sich gegensätzlich zu den Denk-Bewegungen der Zeit verhält, die daran festhalten, auch wenn das Leben in der Randzone bisweilen schmerzt. Die Rezeption solcher Werke verzögert sich in der Regel, weil man ihre Qualität lange nicht erkennt oder weil niemand die Kraft hat, sich öffentlich gegen den Strom zu stellen, auch das Werk selbst nicht, das stolz und verletzlich darauf wartet, erkannt und respektiert zu sein. 

So ist Peter Hujar bis heute ein unbekannter Bekannter geblieben, obwohl er mitten in der New Yorker Szene gelebt und viele der heute berühmten Künstler und Künstlerinnen persönlich gekannt und porträtiert hat. 1976 veröffentlichte er sein Buch "Portraits in Life and Death" mit einem Vorwort von Susan Sontag. Doch auch dieses heute sehr gesuchte Buch brachte ihm nicht den doch insgeheim ersehnten Erfolg. Ein paar Ausstellungen in New Yorker Galerien blieben die einzige öffentliche Anerkennung in seiner Umgebung. Dass sich später alle an diese Ausstellungen erinnern, blieb schwacher Trost für einen Geist, der zwischen Selbstüberzeugung und Selbstzweifeln schwankte und ewig mit dem selbst gewählten Schicksal haderte, geschätzter Aussenseiter sein zu müssen. 

Die erste öffentliche Anerkennung erfuhr er in Europa. Eine von Jean-Christophe Ammann, dem damaligen Leiter der Kunsthalle Basel, 1981/82 zusammengestellte Auswahl von rund 50 Fotografien machte in Basel und im Frankfurter Kunstverein mit diesem Werk bekannt. Zusammen mit Fotografien der damals ebenfalls noch wenig bekannten Larry Clark und Robert Mapplethorpe.

Peter Hujar realisierte sein Hauptwerk in den siebziger und frühen achtziger Jahren, in jener Zeit also, als die Kunst die angestammten Materialien, Räume, Grössen und Grenzen verliess, um ein Instrument der Wahrnehmungs- und Erkenntnisforschung zu werden, entweder in streng konzeptuellen Arbeiten oder in flüchtigen Notizen, entweder in Realzeitreisen oder in einmaligen Potlatsch-Happenings. Die Fotografie ihrerseits verliess, im Soge einer breiten Medienreflexion, das Einzelbild und versuchte in Serien und Sequenzen das eigene Medium und die Wahrnehmung damit zu erforschen, mit weitwinklig verzerrter Sicht und erstmals auf RC-Papier, auf Plastikpapier vergrössert. Die Form sollte gesprengt und Inhalte freigelegt werden, entsprechend der neuen Sicht auf die Welt als System, als Struktur. 

Angesichts dieser Entwicklung müssen Hujars Fotografien wie Klassiker gewirkt haben. Das in sich ruhende, manchmal streng wirkende quadratische Format, die Konzentration auf ein Ding, ein Wesen - ein Mensch, ein Kopf, ein Tier, eine Stadtlandschaft -, der einfache, klare, strenge Bildaufbau, häufig im kargen Studio mit einem Stuhl als Requisite realisiert, war deutlicher Kontrapunkt zur Strömung der Zeit. Nicht der Moment, sondern die Dauer ist Peter Hujar offenbar wichtig gewesen, nicht die Dynamik, sondern das Insichsein, nicht die Erfindung einer neuen Form, sondern die Suche nach dem Direkten, Einfachen, Wesentlichen, über die ruhende, manchmal skulptural wirkende Form. Die Realität gefiltert, gereinigt, entspannt und von vordergründigen Bedeutungen abstrahiert. Das mögen alles auch Gründe dafür gewesen sein, dass er als Modefotograf wenig reüssierte. Dass er aber in der Form nicht erfinderisch-originell sein wollte, dürfte ihm für lange Zeit den Eintritt in den Pantheon der amerikanischen Fotogeschichte verwehrt haben.

Entgegen dem systematischen Suchen und Darstellen, entgegen den strukturalistisch angelegten Recherchen der siebziger Jahre interessierte Peter Hujar immer nur das eine: das eine vor ihm Stehende, Liegende, Sitzende, Wachsende, Springende: der Mann, die Frau, das Pferd, der Schuh, das Wasser. Mit einer fast ungeheuerlichen, aber keineswegs dramatisierten Konzentration auf dieses eine Sujet, tatsächlich fast ausschliesslich im Singular, will er offenbar Wesentliches herausschälen, nicht im Sinne von Persönlichem, nicht Charakterzüge, sondern Elemente des zeitgenössischen Daseins: der Leere, der Zeit, der Langeweile, des Wandels, der Präsenz. Ja, der Präsenz. Es ist fast unglaublich direkt, wie uns seine Tiere anschauen. Selbst ein liegender, von uns leicht abgewandter Mann hat eine fraglose Präsenz im Bildgeviert. Hujar porträtierte die Welt, versuchte durch Konzentration, nicht durch paradigmatischen oder syntagmatischen Vergleich, ein Bild zu geben. Das hat natürlich den Anschein von Klassik, nur das die Liebhaber von klassischer Fotografie diese Klassik nicht kaufen wollten. Die Konzentration erschöpft sich nicht in einer zwingenden Form, sondern in einer provozierenden Präsenz des Lebens, des existenziellen Geworfenseins.

Über seine Bilder tauchen wir in die Welt New Yorks, genauer in jenes Mikroklima, wie es in den siebziger und achtziger Jahren im East Village und der Lower East Side in Manhattan entstehen konnte. Wir begegnen Hetero- und Homosexuellen, Männern und Frauen, heute unbekannten Menschen und Berühmtheiten. Das Besondere daran ist aber, dass diese eben genannten Unterschiede keinen Unterschied machen, das ein Patient in einer psychiatrischen Klinik mit gleichem Ernst und gleicher Würde aufgenommen ist wie Susan Sonntag oder Peggy Lee. 

Fran Lebowitz, die amerikanische Autorin, hat sich in einem längeren Interview zu Peters Wesen und Werk geäussert. Ichb erlaube mir, Ihnen eine entscheidende Passage daraus vorzutragen:

"Ich hätte es gerne, wenn Peter für das, was er erfunden, was er geschaffen hat, anerkannt würde. Das Foto von Candy Darling im Krankenhaus ist ein Beispiel für das, was ich meine. Es würde schrecklich sein, wenn jemand anders es versucht hätte. Es wäre leer, sentimental oder unsittlich. Candy lag im Sterben. Peter wusste das, als er sie fotografierte. Er machte eine Aufnahme von ihr im Sarg, als ich mit ihm bei der Trauerfeier war. Ich wusste nicht, dass er es vorhatte. Als er am Sarg vorbeilief, machte er plötzlich das Bild. Ich war total schockiert.

Dann schlich er nochmals hinein, als niemand mehr da war, und machte weitere Aufnahmen. Peter war der einzige Fotograf, den Candy sehr gut kannte. Ich selber kannte Candy extrem gut und glaube, dass Peter der einzige war, der dieses Bild machen konnte, ohne das es zu etwas Schrecklichem wurde. Candy hätte das bewundert. Sie liebte es, wenn Peter sie im Krankenhaus fotografierte. Sie machte sich zurecht, obwohl sie an Knochenkrebs litt und im Sterben lag.....(Peter) dachte über sie in einer Weise, wie meine Mutter über ihre beste Freundin üder über jemanden , dem sie begegnet ist, denkt; wie über einen ganz normalen Menschen. 

Als ich ihm bei Candys Beerdigung sagte(...): "Wie muss es für Candys Vater sein, er ist pensionierter irischer Polizist, wenn er seinen Sohn im Sarg mit Frauenkleidern sieht?" Peter verstand nicht, was ich meinte. Die Welt, die Welt konventionellen häuslichen Lebens war ihm fremd. Dass Eltern ein solches Gefühjl haben konnten...er hatte überhaupt keine Vorstellung davon, wovon ich sprach. Das machte ihn wirklich anders." Soweit Fran Lebowitz.

Sein Werk heute zu zeigen, ist vielversprechend, weil das Erfinden von Formen an Bedeutung verloren, weil die Kraft des Einfachen wieder Wertschätzung erfährt. Man kann es mit grosser Freude und Überzeugung vorstellen, weil die Qualität der Aufnahmen und der Prints eine ungewöhnliche Stärke und Übereinstimmung haben, weil wir erfahren haben, dass das Erkennen von Systemen, von Strukturen in der Welt unsere lebensweltliche Erfahrung und Wertschätzung des Einzelnen nicht ablösen, sondern nur ergänzen konnte. Wir stellen dieses Werk aber auch mit grosser Trauer vor, weil eine systemische Krankheit viele der hier einzeln Abgebildeten in der Zwischenzeit respektlos dahingerafft hat.

 

Ab heute  begegnen Sie hier einer weiteren Tätigkeit des Museums. Nebst Ausstellungen, Publikationen, Vorträgen und Gesprächen markieren wir nun den "Beginn einer Sammlung", nennt sich doch dieser Ort hier Museum, und das schliesst ein, dass hier konservierende, museale Bereiche vorgesehen sind. Die Sammlung des Fotomuseums steht ganz an ihrem Anfang. Da es erstesZiel ist, ein lebendiger Auseinandersetzungsort zu sein, werden in den ersten Jahren alle verfügbaren Mittel in Ausstellungen, Veranstaltungen und Publikationen investiert. Erst in zwei, drei Jahren wird das Museum über einen regulären Sammlungsetat verfügen. Dennoch hat die Sammlung bereits einige schöne Eingänge zu verzeichnen, allen voran müssen die grossen Schenkungen von Anita Niesz, von Richard Brintzenhofe (28 Hujar-Fotos), von Lewis Baltz und von Kaspar Thomas Linder hervorgehoben werden. Dann auch die Dauerleihgaben von George Reinhart mit Werkgruppen u.a. von Hans Danuser, Fischli/Weiss, Robert Frank, die Dauerleihgabe Richard Avedon von Andreas Reinhart und die vereinzelten Ankäufe, Werke von Paul Graham, von Joel Sternfeld und John Divola. Mit diesen Schenkungen, den Dauerleihgaben und Ankäufen ist der Beginn einer Sammlung gemacht, die sich zuerst einmal auf die internationale Fotografie nach dem 2. Weltkrieg konzentrieren wird. Ziel wird es immer sein, nicht Einzelwerke, sondern ganze Werkgruppen zu erwerben, die die Haltung des Fotografen oder Künstlers, der Fotografin oder Künstlerin veranschaulichen können. Dieser Teil der Sammlung widmet sich der Autorenfotografie, den Konzepten, Visionen, Widerständen von einzelnen FotorafInnen. Die Ausstellung zum Thema hat aber gezeigt, das grosse Bereiche der angewandten Fotografie noch nicht aufgearbeitet sind. So wie das Fotomuseum in loser Folge solche Aufarbeitungen in grossen thematischen Ausstellungen vorbereiten wird, so wird es auch ausgewählte Einzelbereiche aus diesem Feld der Fotografie zu sammeln versuchen. Kriterium des Sammelns kann dabei nicht mehr nur die Qualität einer ästhetischen Lösung sein, andere, kulturelle, soziologische Kriterien, Kriterien der Dokumentation von Welt müssen beigezogen werden.

Doch den Anfang der Sammlungspräsentation machen wir mit sechs Autoren und Autorinnen, mit den Amerikanern John Divola und Joel Sternfeld, mit dem Amerikaschweizer Robert Frank, mit den Schweizern Anita Niesz, Kaspar Thomas Linder und Hans Danuser. Viel Spass.