September 1994

Peter Hujar
Katalogvorwort

Peter Hujar war in vielem ein Aussenseiter. Einer jener Künstler oder Fotografen, die ihre Idee verfolgen, auch wenn sie sich gegensätzlich zu den Denk-Bewegungen der Zeit verhält, die daran festhalten, auch wenn das Leben in der Randzone bisweilen schmerzt. Die Rezeption solcher Werke verzögert sich in der Regel, weil man ihre Qualität lange nicht erkennt oder weil niemand die Kraft hat, sich öffentlich gegen den Strom zu stellen, auch das Werk selbst nicht, das stolz und verletzlich darauf wartet, erkannt und respektiert zu sein. 

So ist Peter Hujar bis heute ein unbekannter Bekannter geblieben, obwohl er mitten in der New Yorker Szene gelebt und viele der heute berühmten Künstler und Künstlerinnen persönlich gekannt und porträtiert hat. 1976 veröffentlichte er sein Buch "Portraits in Life and Death" mit einem Vorwort von Susan Sontag. Doch auch dieses heute sehr gesuchte Buch brachte ihm nicht den doch insgeheim ersehnten Erfolg. Ein paar Ausstellungen in New Yorker Galerien blieben die einzige öffentliche Anerkennung in seiner Umgebung. Dass sich später alle an diese Ausstellungen erinnern, blieb schwacher Trost für einen Geist, der zwischen Selbstüberzeugung und Selbstzweifeln schwankte und ewig mit dem selbst gewählten Schicksal haderte, geschätzter Aussenseiter sein zu müssen. 

Die erste öffentliche Anerkennung erfuhr er in Europa. Eine von Jean-Christophe Ammann, dem damaligen Leiter der Kunsthalle Basel, 1981/82 zusammengestellte Auswahl von rund 50 Fotografien machte in Basel und im Frankfurter Kunstverein mit diesem Werk bekannt. Zusammen mit Fotografien der damals ebenfalls noch wenig bekannten Larry Clark und Robert Mapplethorpe.

Peter Hujar realisierte sein Hauptwerk in den siebziger und frühen achtziger Jahren, in jener Zeit also, als die Kunst die angestammten Materialien, Räume, Grössen und Grenzen verliess, um ein Instrument der Wahrnehmungs- und Erkenntnisforschung zu werden, entweder in streng konzeptuellen Arbeiten oder in flüchtigen Notizen, entweder in Realzeitreisen oder in einmaligen Potlatsch-Happenings. Die Fotografie ihrerseits verliess, im Soge einer breiten Medienreflexion, das Einzelbild und versuchte in Serien und Sequenzen das eigene Medium und die Wahrnehmung damit zu erforschen, mit weitwinklig verzerrter Sicht und erstmals auf RC-Papier, auf Plastikpapier vergrössert. Die Form sollte gesprengt und Inhalte freigelegt werden, entsprechend der neuen Sicht auf die Welt als System, als Struktur. 

Angesichts dieser Entwicklung müssen Hujars Fotografien wie Klassiker gewirkt haben. Das in sich ruhende, manchmal streng wirkende quadratische Format, die Konzentration auf ein Ding, ein Wesen - ein Mensch, ein Kopf, ein Tier, eine Stadtlandschaft -, der einfache, klare, strenge Bildaufbau, häufig im kargen Studio mit einem Stuhl als Requisite realisiert, war deutlicher Kontrapunkt zur Strömung der Zeit. Nicht der Moment, sondern die Dauer ist Peter Hujar offenbar wichtig gewesen, nicht die Dynamik, sondern das Insichsein, nicht die Erfindung einer neuen Form, sondern die Suche nach dem Direkten, Einfachen, Wesentlichen, über die ruhende, manchmal skulptural wirkende Form. Die Realität gefiltert, gereinigt, entspannt und von vordergründigen Bedeutungen abstrahiert. Das mögen alles auch Gründe dafür gewesen sein, dass er als Modefotograf wenig reüssierte. Dass er aber in der Form nicht erfinderisch-originell sein wollte, dürfte ihm für lange Zeit den Eintritt in den Pantheon der amerikanischen Fotogeschichte verwehrt haben.

Entgegen dem systematischen Suchen und Darstellen, entgegen den strukturalistisch angelegten Recherchen der siebziger Jahre interessierte Peter Hujar immer nur das eine: das eine vor ihm Stehende, Liegende, Sitzende, Wachsende, Springende: der Mann, die Frau, das Pferd, der Schuh, das Wasser. Mit einer fast ungeheuerlichen, aber keineswegs dramatisierten Konzentration auf dieses eine Sujet, tatsächlich fast ausschliesslich im Singular, will er offenbar Wesentliches herausschälen, nicht im Sinne von Persönlichem, nicht Charakterzüge, sondern Elemente des zeitgenössischen Daseins: der Leere, der Zeit, der Langeweile, des Wandels, der Präsenz. Ja, der Präsenz. Es ist fast unglaublich direkt, wie uns seine Tiere anschauen. Selbst ein liegender, von uns leicht abgewandter Mann hat eine fraglose Präsenz im Bildgeviert. Hujar porträtierte die Welt, versuchte durch Konzentration, nicht durch paradigmatischen oder syntagmatischen Vergleich, ein Bild zu geben. Das hat natürlich den Anschein von Klassik, nur das die Liebhaber von klassischer Fotografie diese Klassik nicht kaufen wollten. Die Konzentration erschöpft sich nicht in einer zwingenden Form, sondern in einer provozierenden Präsenz des Lebens, des existenziellen Geworfenseins.

Sein Werk heute zu zeigen, ist vielversprechend, weil das Erfinden von Formen an Bedeutung verloren, weil die Kraft des Einfachen wieder Wertschätzung erfährt. Man kann es mit grosser Freude und Überzeugung vorstellen, weil die Qualität der Aufnahmen und der Prints eine ungewöhnliche Stärke und Übereinstimmung haben, weil wir erfahren haben, dass das Erkennen von Systemen, von Strukturen in der Welt unsere lebensweltliche Erfahrung und Wertschätzung des Einzelnen nicht ablösen, sondern nur ergänzen konnte. Wir stellen dieses Werk aber auch mit grosser Trauer vor, weil eine systemische Krankheit viele der hier einzeln Abgebildeten in der Zwischenzeit respektlos dahingerafft hat.

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