Januar 2007

Stripped Bare - Sammmlung Thomas Koerfer
Eröffnungsrede der Ausstellung bei C/O Berlin

<p>Matthias Harder, Felix Hoffmann, Thomas Koerfer</p>

Matthias Harder, Felix Hoffmann, Thomas Koerfer

<p>Janine and Thomas Koerfer. On the left Boris Mikhailov.</p>
<p>Photo: Marc Volk</p>

Janine and Thomas Koerfer. On the left Boris Mikhailov.

Photo: Marc Volk

<p>Photo: Marc Volk</p>

Photo: Marc Volk

Meine Damen und Herren

 

Die Felder des Körpers und der Körperdarstellungen sind gross. Wobei auffällt, dass die Auseinandersetzung mit dem Körper im 20. Jahrhundert, und vor allem in der zweiten Hälfte, massiv zugenommen hat: also in der Zeit, in welcher der Körper seine Natürlichkeit und Integrität zu verlieren droht, in der er sich von einem Organismus in ein Instrument zu verwandeln scheint. Zeigen, diskutieren und üben wir jetzt gerade das „Körperliche“ so heftig aus, weil es uns abhanden zu kommen droht? Leben wir den Körper deshalb in heftiger, manchmal fast mechanistischer Weise aus, weil ihm selbst die Transformation droht?

Die Felder der Fotografie sind bekanntlich ebenfalls gross: Sie ist überall dabei, in allen gesellschaftlichen und privaten, kommerziellen und ‚freien’ Bereichen unseres Lebens. Sie ist selbst im Abgeschlossenen dabei, da wo es ‚dunkel’ wird, wo die Gesellschaft sich abgrenzt und tabuisiert. Entsprechend bleiben solche Fotografien oft lange unter Ver­schluss und tauchen erst mit grosser Zeitverzögerung in der Öffentlichkeit auf. Es existiert ein Unterschied zwischen der Beaux-Arts-Seite der Welt, der Guten-Kultur-Seite, und der Schattenseite, welche die Gesellschaft gerne verdrängen würde. In einer christlichen Welt gehören Erotik, Sexualität und Begierden zur tabuisierten Seite - bis vor kurzem wenigstens, bis zur grossen Kommerzialisierung von Sexualität. Doch Sexualität und Begehren sind zentraler Antrieb des individuellen und gesell­schaftlichen Denkens und Handelns. Wir sind weit mehr von diesen ‚animalischen’ Wünschen getrieben als unserem verstandesmässig operierenden Denken lieb ist. Deshalb wohl überlassen wir fälschlicherweise den visuellen Diskurs darüber der Werbung und der Mode (für den soften Bereich) und der Pornographie (für den harten Bereich) und schauen leicht indigniert auf künstlerische Fotografie, die sich ernsthaft mit unseren Fantasmen auseinandersetzt. 

Die Felder „Fotografie“ und „Körper“ sind so gross, dass ich mich auf drei weitere Gedankengänge zum Thema dieser Ausstellung, dieser reichen Sammlung „Der entblössten Körper“ von Thomas Koerfer beschränke:  Auf die Pornographisierung des Blicks und des Körpers, den surrrealistischen Körper und auf den Identitätskörper. 

 

Die Fotografie war immer ein Zeige-, ein Vorzeige-Instrument. Kaum war ihr Verfahren erfunden, wurde hier etwas fotografiert, um es dort zu zeigen. Die ersten Fotografien im 19. Jahrhundert zeigen die Welt und ihre Figuren aus gebührender Distanz, ruhig und intakt. Der Einsatz von kleineren Kameras, von Blitzgeräten stört diese Ruhe zu Beginn des 20. Jahrhunderts, greift ein erstes Mal die Intaktheit der Figur an. Die Fotografie „ent-deckt“ jetzt das Verborgene, den Schnappschuss, der die Körper aufwirbelt und anders zeigt: das Liebespaar beim Kuss, den Milchtropfen beim Aufprall, ein Körper, der sich treppensteigend-zerdehnend offenbart. Grosse Teleobjektive, elektronische Nachtsichtgeräte stören dann sowohl die Intimität von Filmstars als auch die Unberührtheit des Weltalls. Mit den elektronischen Möglichkeiten werden nun Nähe und Zeigegestus total, und zugleich offenbart sich hier erstmals in aller Schärfe, dass das Forschen und Entdecken nur die mattere Seite der Fotografie ist, die glänzende hingegen ist das Zeigen und Vorzeigen, das Präsentieren und Enthüllen: „Hier, schaut her, was wir Euch zu bieten haben.“ 

Die Geschichte der Foto-, Video- und Digitaltechnik ist nur ein Strang dieses gierigen Strudelns von Distanz zu Nähe, von Integrität zur Fragmentisierung der Körper, des Hervorzerrens von Privatem an die Öffentlichkeit; sie ist aber sein sichtbarer Teil, an dem sich ablesen lässt, wie eine Gesellschaft sich zunehmend pornographisiert. Das 19. Jahrhundert hat drapiert und verborgen, im 21. Jahrhundert klatschen die Geschlechtsteile an den Bildschirm, so nah werden sie gezeigt. Also nichts mehr von der Ruhe, der Intaktheit, Integerheit der Körper – der pornographische Blick überschreitet alle Grenzen, stückelt auf, preist an, ist hektisch-schnell. Der totale Zeigegestus, verbunden mit maximaler Verbreitung, ist wie ein gigantisches Buffet an Zeichen, das 24 Stunden zur Verfügung steht. Die „Nudes“ von Thomas Ruff thematisieren das attraktiv und anschaulich.

Es gibt den privaten, öffentlichen, sozialen, sexuellen, religiösen, den käuflichen Körper und viele andere mehr….. und eben auch den surrealistischen Körper und den Identitätskörper:

Der surrealistische, der bataille’sche Körper, der die Konventionen der Gesellschaft und den Verstand unterläuft, der sich öffnet, fliesst und alle Höhen und Abgründe unkontrolliert umfasst. Dieser Körper ist Träger von Wünschen, von Gefühlen, Fantasien und Ängsten. Er ist das Fremde und das Nahe, das Helle und Dunkle zugleich. Er ist authentisch, im Gegensatz zum Denken, das durch die Weltkriege in Zweifel geriet, er ist das Tor zur Überschreitung des Ichs, das Tor zur Kontinuität. Die Begierde zur Vereinigung der Körper entspringt nicht dem Wunsch zu besitzen oder gar in Besitz genommen zu werden. Die  Begierde entspringt, gemäss George Bataille, dem ungeheuerlichen Reiz des Kontinuierlichen, der Aussicht auf neues Leben zu verheissen scheint. Diese Kraft, dieser strudelnde Untergrund ist trotz allen kulturellen Unterschieden erstaunlicherweise vor allem bei den hier vertretenen Japanern zu spüren, bei Daido Moriyama und Araki, aber auch bei Noritoshi Hirakawa. Stadtkörper und Frauenkörper, Leben und Sexualität verschmelzen, werden ihren Bildern eins.

Es gibt auch den Identitätskörper, die Vorstellung, dass das Ich und der Körper gesellschaftlich konstruiert sind. Ein zentrales Thema des Feminismus. In ihm finden wir ein Grundmodell aller Identitäts- und Körperdebatten: Die Frau wird unterdrückt durch die Zuschreibung einer vorgeblich natürlichen, tatsächlich gesellschaftlich kontrollierten Rolle. Sie muss sich eine neue eigene Identität zu schaffen versuchen. Die Verordnung von Identitäten wird zu einem zentralen gesellschaftlichen Machtinstrument - während die Erfindung einer eigenen Identität zu einer Form des Widerstandes wird. Niemand steht wohl so sehr für Fotografie, die sich mit Identität auseinandersetzt, wie Cindy Sherman. Bei ihr wird Identität sichtbar als radikal konstruiert und zugeschrieben dargestellt: als Einfluss von Medienbildern auf die Konstitution einer Identität, die ohne Bezug auf ein Selbst, nur noch mit Bezug auf Bilder und Klischees funktioniert. Andy Warhol wiederum ist der erste, der realisiert, dass der Künstler und sein Werk eins werden, dass der Künstler zum Popstar und seine Identität zum Kunstwerk werden. Bei Warhol ist Identität immer sichtbar künstlich, eine Maske, eine Bühne. Mapplethorpes Selbstporträts thematisieren die schwule Seite dieser Debatte. Sarah Lucas Bilder sind eine schrill-ironische Version der Jetztzeit. 

Damit haben wir ein paar wenige Aspekte, die diese Bilder von „entblössten Körpern“ mit implizieren, angesprochen. Zu reden wäre auch über den Evidenzkörper bei Boris Mikhailov, diese Körper, die in der Misere lachen, Freude haben, in die aber auch einzig die Wahrheit der gesellschaftlichen Verhältnisse eingeschrieben ist. Oder der kühle, attraktive kommerzialisierte Körper bei Philip Lorca DiCorcia und Jean-Luc Moulène, der voyeuristische Körper bei Merry Alpern, diesen Fotografien, die fast zielscheiben genau vorführen, dass Fotografie immer selbst schon voyeuristisch veranlagt ist. 

Vergessen wir zum Schluss nicht, dass Fotografien, die den entblössten sexualisierten Körper zeigen, ihn repräsentieren, selbst auch sexualisierende Objekte sind – und das irritiert heute noch fast jede Gesellschaft. Vielleicht auch uns hier, wenn wir anschliessend supercool an diesen Bildern vorbeischreiten und jede gedankliche und körperliche Erregung verbergen, nicht zulassen wollen. 

Ich wünsche Ihnen jedenfalls viel Spass und einige Wangenröte dabei.