2003

Verkürzt und stillgelegt
Bildprinzipien bei Phoebe Maas

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Phoebe Maas richtet ihre Aufmerksamkeit auf Menschen zuhause, drinnen, in heutigen, oft nur knapp einsehbaren Interieurs. Sie zeigt sie in alltäglichen Handlungen - Ankleiden, Ausziehen, Sich-Hinsetzen, Sich-Bücken, Fernsehschauen, Eindösen, Warten, Liegen –, in Ausschnitten aus dem eingespielten Kontinuum des Tages also. Zu diesen Ausschnitten vorerst einfacher, banaler Augenblicke treten Situationen, die aufgeladener wirken: zwei stehende, fast nackte Figuren, die sich umarmend überlagern; ein Körper, der aus einem zerwühlten Bett ragt; eine Wunde an einem Bein, das sich aus dem Dunkeln und aus Kleidern schält.

Den „Augenblicken dazwischen” („Moments In-Between") entsprechend, wie Phoebe Maas ihre Werke insgesamt nennt, zeigt sie keine vollständigen Handlungen, keine Höhepunkte, weder der Handlung noch des Lebens, vielmehr arbeitet sie in vielerlei Hinsicht mit dem Fragment, dem Ausschnitt „dazwischen“. So erkennen wir Fragmente von Räumen, von Inneneinrichtung, von Kleidern und lesen diese „Ausstattung“ als zeitgenössisch, buntgemischt, nicht vom Willen zu Design bestimmt. Aber vor allem begreifen wir, dass sie nicht selbstbedeutend, sondern vielmehr Elemente in „Bühnenbildern“ sind.

Wir sehen auch Fragmente von Menschen, die selbst da, wo ihre Namen Werktitel werden, Darsteller bleiben. Weniger Menschen in ihrer Komplexität als Körper. Körper, die Raum einnehmen, etwas anderes verdecken, die sich beugen, sich bücken oder sich nach aussen lehnen. Und wir sehen meist nur Körperfragmente, den Rücken, die Beine, die Hände, das Gesicht, kaum je die ganze Gestalt. “Johannes”, “Nathalie”, “Alex”, “Mirjam” oder “Ich” – die Titel bezeichnen wohl Menschen in den Bildern, aber weniger als Persönlichkeiten denn als stumme Darsteller.

Schliesslich erkennen wir Fragmente von Handlungen. Sie sind oft aus steiler Aufsicht oder Untersicht aufgenom­men, fast so, als würde Phoebe Maas das Neue Sehen der zwanziger Jahre neu interpretieren, manchmal mit einem kaum merklichen Duft von David Lynch vermischt. Doch die fragmentierenden Aufsichten und Nahsichten dynamisieren das Bild nicht, wie es Absicht des Neuen Sehens war, vielmehr scheinen sie es einzufrieren: Zeit und Handlungsab­lauf werden unterbrochen, stillgelegt. Der Mensch, sein Tun und das Interieur wechseln für den Augenblick des Bildermachens die Funktion. Einerseits verwandeln sich dadurch die alltäglichen Situationen in Guckkasten, in Kleinsttheater, in dem Menschen und ihre Gesten einer Geschichte, einer Erzählung zu gehorchen scheinen. Doch der gekappte Handlungsstrang lässt die Zeit gefrieren und die angedeuteten Erzählungen gerinnen zu Standbildern, werden in “Stills”, in still-stehende Bilder verwandelt – mit einem “Überhang”, mit einer Andeutung von verborgen-rätselhafter Bedeutung. Andererseits kondensiert sich die Szenerie durch das Aufheben der Zeit und das Verkürzen des Raumes zu einer skulpturalen Anordnung. Bilder wie “Erik”, “Johanneke” und “Toos” lesen sich, als würde eine Bildhauerin eine Masse, einen Körper formen und sie ins Bildgeviert stellen - durch die blosse Anordnung und die verkürzende, verformende Sicht, die Raum und Zeit still-legt, dem Kontinuum entrückt. Die erkennbaren Formen und Farben des umgebenden Raumes, die fragmentierten, eingefrorenen Bewegungen und die ungewöhnliche formende und verziehende Sicht ermöglichen, ja erzwingen einen zweiten Blick auf das Alltägliche in geronnener Form – oder verwandeln das Banale in eine besondere, eine rätselhaft-reale Begebenheit.

Nahsicht ist es oft, die das Bild bei Phoebe Maas bestimmt. Wir drücken bisweilen fast unsere Nase platt – auf einem Rücken, auf abgetretenen Schuhsohlen oder einem wirren, bunten Knäuel von Kleidern auf einem Bett. Diese Nahsichten, Aufsichten, Untersichten öffnen eine Welt voller Bildzeichen, die Phoebe Maas – ursprünglich vom Zeichnerischen, Malerischen herkommend – nutzt. Sie arbeitet mit ihnen an einem Bild, an seinem Aufbau, seiner Dichte, Mehrschichtigkeit. Sie lässt das Resultat eines kurzen, vielleicht einstündigen Settings wochenlang, monatelang als kleines Bild an der Wand hängen, lässt es gleichsam gären, um es dann entweder zu akzeptieren und eine Vergrösserung zu wagen oder um es zu verwer­fen und von vorne zu beginnen. Dichte, Vielschichtigkeit, Tiefe, Assoziationsreichtum, Farbstimmung sind dabei ihr Ziel. Ihr Vorgehen ist - obwohl fotografisch - synthetisch aufbauend, fast so, als würde sie wie eine Malerin ein Bild, wie eine Bildhauerin ihre Gipsfigur, eine Installationskünstlerin ihre Raumvorstellung konstruieren: farblich aufbauen, Schicht um Schicht; die Figur kneten, formen, zurechtrücken; den Raum präzise ausstatten und gestalten. Dieses Vorgehen verleiht den Fotografien eine ungewöhnliche Spannung und Kraft. Es entstehen Bilder – geformte, gewobene, verdichtete fotografisch festgehaltene Bilder.

Und so wird für Phoebe Mass – in Fortsetzung und Neuinterpretation der Tradition holländischer Malerei – das Alltägliche, das Einfache, Banale Bild. Doch sie stellt nicht mehr das Bürgertum dar, repräsentiert nicht mehr seine Handlungen des Pflegens, Ordnens, Besitzens als Lebensziel, vielmehr schneidet sie Fragmente aus dem Kontinuum des Alltags als Zeichen für verborgene, tiefere Realitätsschichten – für Körperlichkeit, Jungsein und Altwerden, für Beschwerlichkeiten, für das Sich-Einhüllen, Verbergen und das zaghafte Sich-Preisgeben, für Gefühle der Leere, der Einsamkeit. In Bildern, die auffallend stimmig Farbflächen, Farben und Formen, zueinander in Beziehung setzen, die gekonnt mit Ornament, Muster und Textur spielen und die in ihrem Farbklang manchmal an alte Malerei, zuweilen aber auch an den direkten, rohen Einsatz von Licht in der Videoästhetik erinnern.

Phoebe Maas sucht das Bild mit fotografischen Mitteln und erreicht es in einem Prozess, der Langsamkeit, Verdichten und Aussortieren zum Prinzip erhebt. In der Verkürzung des Raumes und dem Ausschalten von Zeit erzeugt sie auffallend einfache und dennoch beunruhigend dichte, präsente Bilder. Bilder, deren Motivik und Inhaltlichkeit in eigener Weise dicht in die Formen und Farben, in die Texturen und Schichtungen eingewoben, ja in ihnen verborgen sind. Phoebe Maas ist eine Bildermacherin – vor allem anderen. Eine Meisterin des „Augenblicks dazwischen“.