September 2009  /  Du 799

Bis eines Tages die Augen platzen wie Popcorn

English Version: Until One Day the Eyes Burst like Popcorn →
<p><em>Photo-Op. Bringing the War Home: House Beautiful (new Series)</em>, Martha Rosler, 2004</p>

Photo-Op. Bringing the War Home: House Beautiful (new Series), Martha Rosler, 2004

Drei, vier Welten sausen ungedämpft und schrill aufeinander los: Kampfszenen mit Panzern und Infanterie vor einem explodierenden Feuerball im Hintergrund. Zwei Mädchen mit geschlossenen Augen und Anzeichen von (tödlichen) Verwundungen, mittig links in zwei Clubsessel drapiert. Im Vordergrund startet eine Blondine als geklonte Doppelpackung, wie eineiige Zwillinge, aufgemacht, getuned mit Pony und Fransen, in rückenfreiem, körperbetontem Kleid. Die beiden kreischen aufgedreht, exaltiert je unterschiedliche Handyporträts an, das Handy mit beiden Händen, mit halboffenen Handflächen in Adoration vor sich hochhaltend. Die drei Szenen vermittelt eine Immobilie, ein Salon mit Cheminée, Sesseln aus den fünfziger und sechziger Jahren, weissen Vasen im Bauhausstil und mit Cinerama-Fenstern zum «Garten» hin. Inzwischen steht diese Immobilie vielleicht leer, ist mobil geworden, der Subprime-Krise zum Opfer gefallen, sicher jedoch ist die Tochter des Hauses, sind diese blonden Zwillinge ausgezogen. Das Ambiente kann nicht von ihr, allenfalls von ihren Eltern stammen. 

Diese fotografische Arbeit stammt von 2004 und heisst «Photo-Op. Bringing the War Home: House Beautiful» (new Series). Martha Rosler, die aufklärerische amerikanische Künstlerin, hat sie während des zweiten Golf­krieges geschaffen, ein Revival ihrer eigenen Arbeit «Bringing the War Home», die sie in den späten sechziger und siebziger Jahren, also während des Vietnamkrieges geschaffen hat. Auch darin führte sie die häusliche Harmonie, das entspannte Ambiente des American Way of Life nahtlos mit der Brutalität des Krieges zusammen: eine Courrèges-Dame der sechziger Jahre staubsaugt aufwandlos elegant, mit leichter Hand die Vorhänge und blickt dahinter direkt in unverblühmt düstere Grabenkämpfe. Damals waren es klassische Collagen, gekonntes Schnipseln mit Schere und Leim, in den neuen Arbeiten hingegen führt Rosler die verschiedenen Elemente digital zusammen. Found Footage, gefundenes Filmmaterial, wie es beim Film heisst, hier jedoch im Netz oder in den Medien vorgefundene Fotografien, die der Logik der Künstlerin entsprechend neu zusammen-, in einen anderen Kontext gesetzt werden. Aber auch in der digitalen Version ohne feines Ren­dering, ohne gestalterische Finesse, vielmehr weiterhin – mit Erinnerung an das Prinzip des Brechtschen Verfremdungseffekts – entwurfs- und scherenschnittartig. Lichteinfall und Schattenwurf sind von Bildelement zu Bildelement verschieden, werden absichtlich roh eingesetzt. Wir sollen nicht geblendet, sondern zum Nachdenken angeblitzt werden. 

9/11 hat Martha Roslers visuelle Provokation Realität werden lassen. «Der Krieg kam heim», fand plötzlich und schockartig vor der Haustüre, neben dem Drugstore, hinter der Happy-Hour-Bar statt. Die Vereinigten Staaten von Amerika hatten seit ihrem verheerenden Bürgerkrieg in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts keinen Krieg mehr auf dem eigenen Kontinent erlebt. Alle Konflikte fanden ausserhalb, meist jenseits der Ozeane statt, das Eigenheim blieb unberührt, der Garten gepflegt. 9/11 liess den amerikanischen Traum von Unberühr­barkeit, Unbesiegbarkeit platzen. Roslers neue Serie von «Bringing the War Home» war gezwungen kräftig aufzurüsten, wollte sie der Realität wieder einen Schritt voraus sein: die Farben schriller, die Konfrontationen heftiger, Spezial-Marines entern den living room, Abu-Ghraib-Häftlinge werden mit Laufstegmodels konfron­tiert. «Photo-Op», das Handy-Bild, geht noch einen Schritt weiter. Es verknüpft Newsbilder mit Aufregung, mit sexueller Erregung. Die Frau sitzt nicht mehr in grauen Kleidern zuhause und wartet einsam, bis Briefe eintref­fen, bis ihr Soldat lebend oder tot von der Front heimkehrt, wie alte Fotos und Filme uns weismachen, als Girl der Gegenwart erfährt sie vom Leben an der Front aufgeregt übers Handy. «Photo-Ops», «Photo Opportunities» berichten moderiert über Glück und Leid im Auftrag der Nation. Der Horror an der Front wird, gut gemixt und angenehm verdünnt, zur visuellen Partydroge das scheint Martha Roslers ätzendes Bild mitteilen zu wollen. Action und bad guys sind cool und aufregend, sie sind der Kick, ohne sie wird das Leben richtig langweilig. Mit Rückkoppelung an die Front: Be cool – sexy Blondie is watching you.

Sogar diese Vorstellung scheint nicht mehr nur provozierende Warnung und Aufklärung einer Künstlerin, sondern ebenso Realität zu sein. Wir speeden zunehmend von, von Kick zu Kick, von Aufregung zu Aufregung, drohende Downers so lange wie möglich überspringend. Und dieser heftigen Erregung ist jedes Mittel recht, sich am Leben zu erhalten, sich weiter und weiter zu steigern. Was im Spiel aufregende Fantasie, brauchbares Mittel sein kann, springt plötzlich über, wird brutale Realität. Artensprung der bedrohlichen Art: Abklatschen hier, niederschiessen da, Megabetrug dort – ultimative Kicks einer Peak-Peak-Gesellschaft. Aufrüstung der Bilder, der Körper, der Konten – bis eines Tages die Augen platzen wie Popcorn, die Körper sich kräuseln wie Blumenkohl. «La réalité surpasse la fiction», Nachhaltigkeit altert soschnell zum süssen Begriff für Oldies.