Januar 2020  /  Booklet (MAST, Bologna)

Walead Beshty: Industrielle Porträts

English Version: Walead Beshty: Industrial Portraits →
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Photos: Vinzenzo Riccardo lo Buglio

Es war früh in seiner Karriere, als sich Walead Beshty entschied, überall, wo er auftrat, wo er Ausstellungen einrichtete und als Künstler agierte, diejenigen Menschen zu porträtieren, mit denen er zusammenarbeitete, zumindest einige von ihnen, die engeren Mitspieler an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit zum Beispiel. Über die vergangenen 12 Jahre sind so rund 1400 Personen porträtiert worden. Viele davon mittels eines formalisierten Verfahrens: Walead Beshty verwendet eine Kleinbildkamera mit einem analogen meist schwarzweissen 36er-Film und fotografiert damit die Personen in ihrem Arbeitsumfeld. Aus dem vorhandenen Bildmaterial hat er bisher je 1 Porträt pro Person ausgewählt. Für die Ausstellung am MAST wurden 364 aus den rund 1400 Portraits ausgewählt und geprintet, unterteilt in 7 Gruppen zu je 52 Bilder. Die Gruppen zeigen Künstler und ihre Studios, Kuratoren, Artisans/Tradesmen/Craft, institutional workers (arts administration), gallery workers, collectors, and diverse andere Berufe, like writers and professors. In die Portraits hineingemischt finden wir immer wieder auch Raumaufnahmen, Porträts von Studios, Ausstellungsorten, Lagern, Hotelzimmern oder Konferenzräumen.

Die Portraits wirken in gewissem Sinne standardisiert. Sie wollen nicht den Charakter, das Wesen und die Erscheinung, also die Essenz einer Person zum Ausdruck bringen, wie das Studioportraits seit Beginn der Fotografie immer wieder beabsichtigen, vielmehr interessiert sich Walead Beshty für die Personen in ihrem (und seinem) Arbeitsfeld, für die Person und ihre Funktion, die Person und ihre Rolle im Gefüge der Kunstwelt, des Kunstmarktes. Als historischen Bezug können wir das Grossprojekt „Menschen des 20. Jahrhunderts“ von August Sander heranziehen. Auch Sander interessiert sich für den „Bauern“, den „Advokaten“, den „Fabrikbesitzer“, die „Tänzerin“, also für die Symbiose von Mensch und Beruf, Mensch und Rolle und nicht so sehr für die Essenz eines einzelnen Menschen. Dies jedoch in einer weit strenger hierarchisierten Gesellschaft.

Zwei Zitate von Walead Beshty bekräftigen Absicht und Vorgehen: “I don't think of any particular object as being particularly significant. It's much more the system that generates it” und “Objects have no meaning in themselves, rather they are prompts for a field of possible meanings that are dependent on context … That is, objects facilitate certain outcomes to arise that are not wholly predictable. These interactions accumulate over time, thus the meaning of an object is ever evolving”. Walead Beshty denkt dies vermutlich von jedem Objekt in der Welt, aber sicher von jedem Kunstwerk in der Kunstwelt. Und hier in diesem grossen Portraitprojekt denkt er das auch von den Personen und ihren Funktionen. Die Menschen arbeiten in einem bestimmten Kontext, üben eine bestimmte Funktion aus, sind sich selbst, aber auch sich selbst und der Job zusammen. Kaum verlassen sie den Arbeitsort, werden sie anders wahrgenommen, verschieben sie sich in andere Kontexte. 

Walead Beshty nennt diese Portraits „Industrial Portraits“. Ich erkenne in diesem Titel einerseits eine Spiegelung seines leicht standardisierten Vorgehens beim Fotografieren, andererseits lese ich die hier ausgestellten und die insgesamt (und ständig zunehmenden) 1400-1500 Portraits als ein Form des Portraits einer Industrie, der Kunstindustrie, der Kunstwelt, der Konstellation des Produzierens, Vermittelns, Verkaufens von Kunst und des Nachdenkens über sie. In diesem Sinne sind die „Industrial Portraits“ ein Offenlegen der Akteure im Kunstmarkt, in einer Welt, die heute von sich meint, dass sie wenig hierarchisch geordnet ist. Der Aspekt des Offenlegens ist im gesamten bisherigen Werk von Walead Beshty zentral. Seine Ektachrome legen, vergrössert offen, was geschieht, wenn wir durch die Sicherheitskontrollen an Flughäfen geschleust werden, wenn sich Strahlungen als Linien auf den Ektachromen niederschlagen;  die verkratzten, zerborstenen Glas-Kuben, die in Fedexkartons verpackt und verschickt worden, „erzählen“ vom Transport, von den Bedingungen beim Herumtransportieren von Waren. Seine Skulpturen aus Kupfer spiegeln das Handling von Kunst, das Einpacken, Auspacken, das Herumtragen und Hinstellen. Damit die Spuren des Handling, die Geschichte des Objekts wirklich sichtbar sind, haben die Art Handler wohl keine Handschuhe getragen, die üblicherweise zu verhindern versuchen, dass sich Fingerprints auf der glatten, brillanten Metalloberfläche niederschlagen.

Wir erkennen in diesen drei Werkgruppen und auch in weiteren, wie Walead Beshty den Spuren des menschlichen Handelns, dem Niederschlag des System des Produzierens, Transportierens folgt und wie er durch das Zeigen der Spuren das System, das Funktionieren offen darlegt und uns mit seinen Objekten die Chance bietet, unsere Aufmerksamkeit dafür zu schärfen. Nochmals in seinen eigenen Worten: „I don't want to teach a lesson or provide a recipe, but I actively try not to conceal. Power works by concealing how it functions, by enforcing a ritual, naturalizing it.” Mit dem Zusatz: "Art itself has the potential to democratize aesthetics and reimagine aesthetic production as communal, available and non-hierarchical. I like the idea of demystifying aesthetics by communicating that we can all make aesthetic objects; it's not simply for those with capital or power." Im Falle der „Industrial Porträts“ legt er die Spuren nicht nur offen, vielmehr zieht er selbst eine Spur, die Spur seines Arbeitslebens, der zeitlichen und örtlichen Abfolgen. Hier ist Walead Beshty, Akteur und Beobachter, Akteur und Präsentator in einem. Er dokumentiert den Kontext, den er selbst seit 10-15 Jahren miterzeugt. Entsprechend wichtig war es für ihn, sich früh dafür zu entscheiden, diese Serie zu beginnen.

Im Kontext des Themas „Arbeitskleider und Uniformen“, das in der anderen Ausstellung am MAST ausführlich, historisch und gegenwartsbezogen aufgegriffen wird, legen die 364 Porträts von Beshty noch eine weitere Spur, einen weiteren Niederschlag offen: Sie erzählen von einer Welt, in der uniformierte Arbeitskleider ein Gräuel sind, in der, als Zeichen einer un-ausgesprochenem Kodex der Anti-Uniform, der Ja-Nicht-Uniform existiert. Nur ja nicht aussehen, wie der Andere, der Nächste, nur ja nicht uniformiert, konfektioniert daher kommt. Auf die Gefahr hin, dass diese Negativdefinition sich wiederum als uniformierte, als standardisierte Haltung von allen Akteuren in diesem Kontext erweist. „Das Uniforme in der Anti-Uniform-Attitüde der Kunst- und Künstlerwelt“ könnte man einen Aufsatz dazu betiteln, trotz dem grossen Bemühen um singuläres, einzigartiges, persönliches Auftreten und Daseins jedes einzelnen der portraitierten Akteure, bleiben wir Kontext-abhängig, sind wir oft gefangen in unserem persönlichen und überpersönlichen Habitus.